[01] Kontakt 23, Ausgabe April 1983

 

Christlich leben - politisch handeln?

 

Christlich leben - politisch handeln? Ein gewiss interessanter und bei vielen von uns nicht unproblematischer, scheinbarer Gegensatz. Dies verwundert kaum, haben wir doch die zahlreichen negativen Erscheinungsformen politischer Machtausübung in Vergangenheit und Gegenwart in Erinnerung. Auch die Kirche als Institution trägt einen Anteil an Schuld an diesen Erfahrungen und hat zu einer oft bewussten Trennung von Politik und Kirche, Religion und Glauben geführt.

 

Politik wird dann oft als "schmutziges Geschäft" gebrandmarkt und auf eine von unserem Leben mehr oder weniger weit entfernte Ebene verschoben. Politik wird dann eben von "Gewählten, Berufenen, Funktionären“ gemacht und darüber höchstens bei Wahlen geurteilt. Aus dieser Situation entsteht ein ständiges Ungleichgewicht zwischen Regierenden und Regierten, das Abhängigkeit und Machtmissbrauch zur Folge hat.

 

Wenn Politik Gemeinschaftsgestaltung ist, die auf die Durchsetzung von Vorstellungen zur Ordnung sozialer Gemeinwesen und Verwirklichung von Zielen und Werten gerichtet sein soll, sollte dies auch

Anliegen aller Menschen dieser Gemeinschaft sein.

 

Um die Meinung zu diesem Thema in unserer Gemeinde zu erfahren, führten wir eine Umfrage durch, aus der wir hier Auszüge anführen.

 

Christsein und Politik gehört, glaubt R. P., 31 J., Sekretärin, jetzt Mutter von 2 Kindern, zusammen. Politik im positiven Sinn als Teilnahme an der Erhaltung und Ordnung eines Gemeinwesens. Sie hält sich zwar für wenig politisch, sieht aber das Wesentliche an einem politischen Christen in der Bereitschaft im Sinne des Evangeliums bei der Gesellschaftsveränderung mitzuarbeiten. Die Kirche sollte eine alternativ‑christliche „Gegengesellschaft“ nach der Frohen Botschaft leben und diese erlebbar machen und sich grundsätzlich zu allem äußern, was den Menschen angeht. Dies schließt die Aktivität des Einzelnen mit ein, die R. P. für sich in Selbstinformation, Leserbriefen, Diskussionen und in Beteiligung bei Demonstrationen sieht.

 

Ing. E. P., 43 J., stellt zunächst fest, dass ja ein Christ Mensch ist und daher in jedem Fall von der Politik betroffen ist, egal ob er sich dafür interessiert oder nicht. Er bedauert, dass statt Nächstenliebe Egoismus herrscht und sähe das Anbrechen des Reiches Gottes, wenn es gelänge, die (Nächsten-)Liebe zur Richtschnur und Basis der Politik, verbunden mit einem Maximum an persönlicher Freiheit, zu machen. Er beklagt den Missbrauch der kirchlichen Macht und fordert deren Entmachtung als Basis zur Rückbesinnung auf ihre eigentliche Aufgabe. Die Sozialdemokratie habe mehr gesellschaftspolitische Reformen zugunsten der Schwachen geleistet als die Kirche, die sich in der Vergangenheit oft auf die Seite der Mächtigen stellte. Kein Wunder, sagte E. P. dann, dass viele Menschen sich von der Kirche abwendeten. Hier liegt eine große Aufgabe: Christentum vorleben in Kreisen persönlicher Beziehungen, in Diskussionen, in der Arbeitswelt, christliches Gedankengut verbreiten. Je mehr Christen es gibt, die christlich leben, umso christlicher wird die Politik sein, schließt er seine Stellungnahme. E. P. hat dazu bei ACUS (Arbeitsgemeinschaft Christen und Sozialisten) genügend Gelegenheit.

 

F. M., 84 J., Pensionistin, sieht als Antwort auf die Frage, was das Wesentliche eines politischen Christen sein soll, darin, ihre Überzeugung zu bekennen und danach zu handeln. Die Kirche dürfe nicht schweigen, wenn sich die Politik gegen christliche Überzeugungen stellt. Eine Möglichkeit ihres Wirkens sieht sie darin, ein christliches Leben zu führen, das andere überzeugt und zum Nachvollziehen anregt.

 

R. Z., 61 J., Arbeiter, jetzt Pensionist, sieht die wichtigste Aufgabe christlicher Politik in der Wahrung des Friedens, in der Verantwortung und im sozialen Engagement als Dienst am Nächsten. Grundlage hierfür ist das Vertrauen und Offensein für alle. Parteipolitische Bindung müsse mit unserem Glauben vereinbar sein.

 

Aus allen Stellungnahmen uns aus zahlreichen Gesprächen ging als grundsätzliches Element hervor, dass wir Menschen in der Nachfolge Christi handeln sollen.

 

Das politische Programm für uns Christen sollte in der Bergpredigt sein. Christus war mit diesem Programm zu seiner Zeit Revolutionär und damit zutiefst politisch. Welche Möglichkeiten hätten wir Christen heute in unserer Gesellschaft mit diesen Grundsätzen! Würden wir mehr danach handeln, andere dadurch überzeugen - wir könnten wahrhaftig gesellschaftsverändemd wirken.

Wir müssen uns dieser Kraft mehr bewusst werden und sie, wo immer wir stehen, einsetzen. Dann ist das Ziel politischen Denkens und Handelns der Mensch, zu seinem Glück, zu seiner Freude, zu seinem Wohlergehen.

Volker Anlauf

<-- Zum Beginn der Seite

--> Zur Übersicht des Archives