[07] Steckkontakt, Ausgabe Mai 1990:
Klärungen zur Grundhaltung „Einmütigkeit"
Paul Weß hat in seinem neuesten Buch "Gemeindekirche/Ort des Glaubens" gute
Hinweise für diese oft missverstandene Einmütigkeit gegeben und ich versuche,
davon einiges weiterzugeben.
Einmütigkeit hat etwas mit Mut zu tun: Sich darauf einzulassen, eines Sinnes zu
sein. Das bedeutet aber nicht Einheitlichkeit im Sinne von Uniformität! Innere
Übereinstimmung muss nicht zugleich eine äußere sein. Einmütige Menschen können
eine Differenz im konkreten Tun geistig bejahen. Einmütigkeit schließt also eine
- von allen Beteiligten akzeptierte - Verschiedenheit durchaus ein. Die Bejahung
des anderen bezieht sich da nicht nur auf die andere Person: „Gut, dass es dich
gibt." Sie geht auch auf das andere Verhalten: Ich traue dem anderen zu, dass er
in seiner Situation das Richtige tut. „Versuche, dich in seine Lage zu
versetzen!"
Einmütigkeit hat auch mit Toleranz zu tun, geht aber wesentlich darüber hinaus!
Der Tolerante „duldet" das andere Verhalten, vielleicht aus Mitmenschlichkeit
oder Liebe zum anderen, obwohl er dessen Praxis zumindest teilweise als irrig
betrachtet; oder so bescheiden ist, zu bedenken, seine Betrachtung könnte ja
irrig sein! Eine falsche Toleranz aber ist es, alles Tun und Denken als gleich
gültig - und damit als „gleichgültig" anzusehen; da würde jede Überzeugung, eine
eventuelle Weiterentwicklung, ja eine Umkehr dem anderen gar nicht zugemutet!
Das wäre geradezu eine Behinderung oder Schädigung des anderen.
In den Bereichen, wo keine Übereinstimmung zu erreichen ist, gibt es nur ein
Nebeneinander, kein wirkliches Zusammenwirken. Aber wo Einmütigkeit lebt, kann
es auf Grund der inneren Verbindung (Konkordanz) zumindest grundsätzlich zu
einem gemeinsamen Handeln kommen! Ein gutes Beispiel ist die Lösung des
Konflikts zwischen Juden- und Heidenchristen: Sie wird nicht durch die
Entscheidung eines einzelnen erreicht, sondern miteinander! Weil beide
Richtungen einander den Glauben und die Liebe zutrauten, konnte sie die
Missionsarbeit und die Gemeindebildung weiterführen. Letztlich ist es eben der
Geist Gottes, der Einmütigkeit ermöglicht und nicht eine verordnete oder
autoritäre Regelung.
Gemeinde und Kirche sind als Communio-Gemeinschaft grundsätzlich auf die
Einmütigkeit begründet: Die Verbindung untereinander muss eine ganzheitliche
sein; sie ist nur in gegenseitiger Liebe verwirklicht. Das ist Übereinstimmung
in der Gesinnung, im Geist, in den Herzen. Nicht die Verordnungen
Aus eine einmütigen aber auch langdauemden Arbeit miteinander wird auch eine
größere Übereinstimmung im Glaubenswissen erfolgen. Auf jeden Fall muss die
Einmütigkeit in der Liebesbeziehung in Gemeinde und Kirche an erster Stelle
stehen!
P. Anton Müller SJ
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