[09]

An

Kurt Krenn

Hirte des Volkes Gottes in der Diözese St. Pölten

 

Ein offenes Wort in einem offenen Brief wegen einer offenen Sache

 

Lieber Hirte Kurt!

 

Bis vor kurzem warst du mein Hilfs-Hirte, nun bist du Hirte meiner Nachbarn. Obwohl du nun nicht mehr mein Hirte bist, bist du doch Hirte einer großen Herde. Deshalb erschütterte mich dein Edikt vom 13. Okt. 1991 gar arg, als deine Stimme durch den Äther zu mir gelangte: „Mädchen dürfen nicht am Altardienst teilnehmen, das verbietet das Kirchengesetz." So.

 

Und dann feierten wir am Sonntag darauf (20. Okt.) den ,,Sonntag der Weltkirche". Deiner schon oft zur Schau gestellten Abneigung dem weiblichen Geschlecht gegenüber sollte es eher ein "Sonntag der halben Weltkirche" sein. Es regt dich und einige deiner Mithirten auf, wenn ein weiblicher Mensch zu nahe am Altar steht oder sogar den Mund in der Kirche aufmacht (Maiandacht in Salzburg). Wieso eigentlich?

 

Da sind doch Frauen die ersten Glaubensverkünder. Sie sind es, die erstmals den Kindern das Kreuzzeichen zeigen und ihnen mit ihrer Wärme ein Zeichen der Nähe Gottes vermitteln. Es waren auch Frauen, die den Auferstandenen verkündeten (Mt 26; Mk 16; Lk 24), aber die Männer glaubten es nicht und hielten es für Geschwätz. Warum zitterst du mit manchen Mithirten vor den weiblichen Schafen? Hast du so wenig Vertrauen? Hast du Angst, dass auch du zurückstecken musst wie Jesus (Mt 15,21ff), weil eine Frau recht hat? Jesus hielt das aus, seine Sicht weitete sich.

 

Nun gehst du auch auf die Kleinen (Mädchen) los. Dabei wollte Jesus die Kinder (nicht nur Buben) bei sich haben (Mt 19,14; Mk 10,14). Ja, er beklagte sich: ,,Wie oft wollte ich die Kinder sammeln, aber ihr habt nicht gewollt (Mt 23,37)." Vielleicht bist du dir nicht dessen bewusst, dass du das, was du dem geringsten SEINER Brüder (und auch Schwestern!) antust, das tust du IHM an (Mt 35,40)?

 

Weiters bedrückt mich schwer die Begründung deiner Maßnahme: „Das verbietet das Kirchengesetz." Wie oft wetterten schon die Propheten gegen diese Gesetzeshörigkeit und Kultgläubigkeit! Sogar Jesus zitiert Jesaja und entgegnet: „Es ist sinnlos, wie sie MICH (Gott) verehren. Was sie lehren, sind Satzungen von Menschen, ihr Herz ist aber weit weg von MIR." Am Sabbatgebot und seiner Anwendung wurde besonders deutlich, wie Jesus Gesetze ausgelegt und angewandt wissen wollte, nämlich: Das Gesetz ist für den Menschen da und nicht der Mensch für das Gesetz (Mk 2,27; Lk 13,15; Lk 14,5). Diese gottgewollte Grundhaltung führte letztendlich zu seinem (Jesu) Tod (Mt 12,14; Mk 3,6; Lk 6,11).

 

Denkst du so stark jenseitsbezogen und wenig diesseitsbezogen, dass die Trauernden (traurigen Mädchen) erst „drüben" getröstet werden sollen (Mt 5,4), dass die Friedfertigen erst „drüben" ihren Platz haben werden (Mt 5,5), dass die, die auf Gerechtigkeit hoffen, erst „drüben" in ihrer Sehnsucht gestillt werden (Mt 5,6)? NEIN! Die gesamte Botschaft meint, dass dieses HIER und JETZT beginnen müsse. Also mach dich auf und tu deinen Beitrag! Erweise der halben Bevölkerung deine Zuwendung (Mt 7,12)! Denn wenn ... (Mt 5,20).

 

Schließlich bezeugt auch die Heilige Schrift, dass ich Schaf mir von dir Hirte einiges erwarten darf:

Nun zurück zu den Lesungen vom ,,Sonntag der Weltkirche":

 

Im vierten Lied vom Gottesknecht singt der zweite Jesaja von einem Menschen (nicht unbedingt von einem Mann!), der ausbaden und ertragen muss, was andere anrichten. Wie viele Menschen werden und wurden geschunden, ausgebeutet und entstellt, damit einer in der Einöde einen zweiten Petersdom baut, den keiner braucht? Dann kommt noch unser aller Oberhirte, der „Heilige Vater" (Mt 23,9! Du bist ja so dafür, alles streng wörtlich zu nehmen!) vorbei und lässt sich den aus Korruptionsgeld erbauten Palast schenken. So verrät er die Sache Jesu, die Option für die Armen. Und du, wie viele andere Hirten, sagst nichts. Du sagst viel, aber nichts für die Geschundenen. Da machst du es den Herrschern dieser Welt nach. Wegen dieser Haltung hat die Kirche schon vor Jahrzehnten die Arbeiterschaft fast unwiederbringlich verloren. Dabei verlangt das Evangelium vom „Sonntag der Weltkirche" eindeutig: „Bei euch soll es anders sein (Mk 10,42-45)." Ich habe dich schon so oft reden gehört, aber ein rechtes Wort in dieser Beziehung war nicht dabei. Dabei wäre die Sache Jesu, die die Sache Gottes ist, viel wichtiger, als Kult und Mädchen beim Altar (Jes 1,11-17; Jes 10,1; Jes 11,4f; Jes 58,6f; Mt 25,31-46).

 

Nun kann es durchaus sein, dass ich Schaf mit meinen Betrachtungen und Interpretationen der Schrift falsch liege. Ich bin schließlich nicht so studiert in dieser Materie wie du. Ist dies der Fall, so bitte ich dich Hirte, die Möglichkeiten deines Lehramtes mir zu eröffnen und mir deine Sicht darzulegen.

 

In Erwartung deiner Antwort

Schaf Erhard

 

Keine Antwort. Als ich eine Antwort mit meiner Auffassung „Schweigen ist eine Form der Zustimmung" von ihm urgierte, antwortete er, ich sei nicht sein Schaf, er brauche mir nicht zu antworten.

 

<-- Zum Beginn der Seite

--> Zur Übersicht des Archives