[10] Im „Lichtblick intern" (Zeitung der Pfarre Liesing) erschien Juni 1993 ein Interview mit Tone (P. Anton Müller SJ) unter dem Titel

 

Nit luck lo!

 

Red.: Kannst du uns in kurzen Zügen etwas von deinem Werdegang erzählen, damit wir erfahren, wer Pater Müller überhaupt ist?

 

P. Müller: Nach vier Jahren Militärdienst im 2. Weltkrieg kam ich ins Priesterseminar nach Innsbruck. Ich lernte den Jesuitenorden kennen und begann 1948 das Noviziat. Da ich ein gewisses Nachholbedürfnis hatte - in der Nazi-Zeit gab es ja keinen Religionsunterricht - und mir die normale Ausbildung zu schnell ging, entschloss ich mich für die lange Ausbildung bei den Jesuiten. Deshalb wurde ich erst mit 33 Jahren (1955) zum Priester geweiht. Danach war ich sechs Jahre Kinderseelsorger in der Canisiuskirche und dann drei Jahre Studentenseelsorger. 1968 wechselte ich in die Betriebsseelsorge über nach Liesing und zwischendurch arbeitete ich in München.

 

Red.: Welche Ideen, welche Intentionen steckten hinter der Betriebsseelsorge?

 

P. Müller: Es war ein Versuch, vor allem von Pater Schretlen, im Industriezentrum Wien-Liesing bessere Kontakte zu den Betrieben und deren Arbeiter aufzubauen. Eine Gruppenbildung war aber hier kaum möglich, da es in Liesing keine Großbetriebe wie in Linz gab, und 80 % der Arbeiter Pendler waren. Allmählich bildete sich eine beständige Gemeinschaft. Ich selbst habe auch in den Betrieben gearbeitet und kann sagen: Es war heilsam, die Mentalität der Leute kennen zu lernen. Für uns war das vielleicht mehr Gewinn als für die Arbeiter.

 

Red.: Die Jesuiten haben zwar in dem Sinn keinen Konvent, doch wie vereinbart sich deine selbstständige Arbeit mit dem Ordensleben? Hast du Kontakte zu deinem Ordenshaus?

 

P. Müller: Ich gehöre seit 25 Jahren zum Bildungshaus Lainz, bin aber seit 25 Jahren auf Außenstation. Alle vierzehn Tage bin ich dort, habe also schon Kontakte. Erst seit dem Konzil, bei den jüngeren Mitbrüdem zeigt sich, dass mehr Wert auf das gemeinschaftliche Ordensleben gelegt wird.

 

Red.: Seit 1973 bist du hier an der Klosterkirche Kirchenrektor. Wenn du auf diese letzten 20 Jahre zurückschaust, was war die Quintessenz dieser Gemeinde? Wie ist sie entstanden?

 

P. Müller: Hierher kamen solche, die selber etwas gestalten wollten. Trotz mancher Skepsis am Beginn zählt die Gemeinde jetzt eine stattliche Anzahl von Mitgliedern. Das zeigt, dass sehr wohl von der Basis her etwas Vernünftiges wachsen kann. Interessant ist, dass - ohne mein Wissen - eine Gruppe von Laien Kardinal König baten, mich hierher zu holen, und so geschah es. Mein Hauptprinzip ist: Möglichst selbstständig arbeiten zu lassen. Bis jetzt bewährte sich diese Selbstständigkeit. Hier wachsen die verschiedensten Berufungen in und für die Gemeinde, denn schließlich ist auch eine Gemeinde eine „Gesellschaft Jesu". Was mir am wichtigsten scheint, ist, dass nicht nur vom Christentum geredet wird, sondern dass man miteinander im alltäglichen Leben als Christen umgeht. Diese Lebensnähe wurde vor zehn Jahren z. B. spürbar, als der „Verein für halbseitig Gelähmte" entstand. Eine Physiotherapeutin aus unserer Gemeinde kam mit ihrem Anliegen, eine solche Station zu gründen. Die Gemeinde stieg ins Projekt ein. Jetzt gibt es ein neues Projekt, die Wohngemeinschaft, in der auch Sozialfälle untergebracht werden sollen. Es geht also darum, miteinander, auch mit Menschen in Not, zusammenzuleben.

 

Red.: Die Gemeinde soll ja zur Pfarre gemacht werden. Wie sieht die momentan Lage aus?

 

P. Müller: Nun, zunächst soll die Schule Prückelmayrgasse zu uns kommen, die momentan zu Atzgersdorf gehört. Vor zwanzig Jahren, als Pater Schretlen die Kirche übernahm, wollte er hier eine Pfarre errichten. Damals wehrte man sich von amtlicher Seite, ein Stück Atzgersdorfer Gebiet abzutreten. Heute ist das umgekehrt. Nun wollen wir nicht. Es soll also Atzgersdorfer Pfarrgebiet und ein Stück von Am Spiegeln zu uns kommen und unter eine Führung gebracht werden. Die Pfarre Am Spiegeln wurde bereits an die Fokolare verkauft und wir sollen jetzt eine Verwaltung bekommen. Dafür bräuchte man aber Leute und Kanzleiräume. Die Gemeinde hat aber in den letzten zwanzig Jahren alle diese Räume ausgebaut, die sie natürlich weiter benützen wird. Momentan herrscht aber mit dem Ordinariat Funkstille, denn mein Orden würde mich abziehen und in eine ordenseigene Pfarre geben. In der derzeitigen Priestersituation geht es eben nicht, dass die Orden immer nur die Löcher stopfen und das Problem nicht anders angefasst wird.

 

Red.: Wie reagiert die Gemeinde darauf, wenn hier eine Pfarre entsteht, aber Pater Müller nicht mehr da ist?

 

P. Müller: Bis jetzt hat sie sich gewehrt. Sicher werde ich einmal nicht mehr hier sein, dann könnte man es denken. Sollte hier eine Pfarre entstehen, so bin ich überzeugt, die Gemeinde wird weiter arbeiten so wie jetzt. Aber in einer Zeit, in der es immer weniger Geistliche gibt, neue Verwaltungsstellen einzusetzen, finde ich horrend. Man sollte größere Verwaltungseinheiten bilden, in denen die Gemeinden feste „Oasen” bilden. Nicht neue Verwaltungseinheiten, sondern neue Lebenseinheiten sollte man schaffen. Aber es gibt eben eine gewisse Tendenz, das Ganze in eine kirchlich-traditionelle Ordnung zu bringen. Am Anfang - nach dem Konzil - war noch mehr Sympathie für die Gemeinde da. Aber nun distanziert sich die Kirchenführung immer mehr von unserem Gemeindemodell.

 

Red.: Oft kommt doch auch der Vorwurf von Pfarren: „Ihr wehrt euch, eine Pfarre zu werden, und nicht die 'Schmutzarbeit' tun zu müssen. Uns lasst ihr die unangenehme Verwaltungsarbeit!"

 

P. Müller: Ja - es wird gesagt, die Gemeinde hole sich die Rosinen aus dem Kuchen. Aber in den Pfarren lässt man die Rosinen doch oft verschimmeln, wenn Pfarrmitglieder so wenig selbstständig arbeiten können? Einige kommen dann zu uns, denn da können sie etwas tun, sich einbringen. Selbstverständlich ist es bequemer, aber wer sagt denn, dass die Pfarren die „Schmutzarbeit" machen müssen? Sie wollen es ja selber. Es herrscht die Mentalität: „Tauft, tauft, tauft! Nur ja keine Fragen stellen." Da steckt sicher auch die Angst vor selbstständig werdenden Christen dahinter, die Angst, überflüssig zu werden und Autorität abgeben zu müssen. Aber ich kann nur sagen: Nit luck lo! (Nicht locker lassen!)

 

Red.: Lieber Pater Müller, wir danken dir herzlich für das interessante Gespräch und wünschen dir und deiner Gemeinde Alles Gute!".

 

Das Gespräch führten Johannes Ojak und Peter Simon. Johannes Ojak hat es zusammengefasst.

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