[11] Soll unsere Kirche eine Pfarrei werden?

Ein diesbezüglicher Brief an Dechant Novotny, erschienen im Steckkontakt, Nov. 1993:

 

Sehr geehrter Herr Dechant Novotny!

 

Bei der Gemeindeversammlung am 27.09.1993 war auf Grund Ihrer Anfrage der weitaus überwiegende Teil der Zeit wieder der Frage gewidmet, ob es sinnvoll sei, am Standort unserer Gemeinde eine Pfarrei zu errichten.

 

Nach ausgedehntem Gespräch kam es zu einer Grundabstimmung, wobei sich 60 Gemeindemitglieder (bei nur einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen) für die Beibehaltung des derzeitigen Status und gegen die Errichtung einer Pfarrei ausgesprochen haben. Ein diesbezüglicher Beschluss der Vergangenheit, der in den bisherigen Gesprächen mit Ihnen zum Ausdruck kam, wurde damit bestätigt.

 

Um auf Ihre Anfrage eine wirklich fundierte Antwort geben zu können, haben wir damals beschlossen, innerhalb von 14 Tagen Stellungnahmen von Gemeindemitgliedem im Detail einzuholen und diese in der hier nötigen Kürze zusammengefasst schriftlich an Sie weiterzugeben.

 

Bei Ihrer Anfrage geht es offenbar wesentlich um praktische Anliegen wie Vorbereitung und Spendung von Sakramenten (konkret: Erstkommunion der Schule Prückelmayrgasse). Vor allem dazu wollen wir in diesem Schreiben Stellung nehmen:

 

In unserer Gemeinde herrscht Freude über jeden, der zum Sakramentenempfang in diese Kirche kommt, sofern es (ohne Pflicht zur Vorleistung) erkennbaren Willen für die Teilnahme am Leben dieser kirchlichen Gemeinschaft gibt.

 

Die Feier von Sakramenten ist bei uns auch eine Feier der Zugehörigkeit zur Kirche, die konkret wird in der Zugehörigkeit zu einer realen bestimmten kirchlichen Gemeinschaft. Dies wird dokumentiert durch das Mitfeiern der Gemeinde bei Taufen, Erstkommunion, Firmungen. Die Vorbereitung auf diese Feste geschieht in kleinen, überschaubaren Gruppen, meist unter Beteiligung der Eltern. Wir verdanken es unter anderem dieser Form des Umgangs mit Sakramenten, dass für viele junge (und auch ältere) Menschen die Sakramente auch wirklich Bedeutung in ihrem Leben bekommen haben, dass sie in der Kirche bleiben und in dieser Gemeinde Heimat finden!

 

Die Betreuung großer Gruppen von Menschen, die es auch bisher vorgezogen haben, keine Verbindung mit einer kirchlichen Gemeinschaft einzugehen, würde den hier sichtbaren Zusammenhang zwischen Sakrament und gelebter Glaubensgemeinschaft zerstören.

 

Eine ähnliche Hinführung ganzer Schulklassen zur Erstkommunion sprengt auch den Rahmen der Möglichkeiten der Gemeinde. Ohne Verzicht auf manche von Pfarrgemeinden geleistete Dienste ist es gar nicht möglich, diese persönliche Vorbereitung aufrecht zu erhalten, da pastorale und missionarische Kräfte jeder Gemeinde begrenzt sind. Diesbezügliche Versuche in der weiter zurückliegenden Vergangenheit haben die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens in dieser Gemeinde erwiesen. Sakramentenspendung als Mittel zur Kontaktaufnahme mit Menschen hat sich in der Praxis der Gemeinde Endresstraße nicht bewährt.

 

Wir sind davon überzeugt, dass Gottes Geist auch außerhalb kirchlicher Sakramente heilswirksam ist. Deshalb glauben wir nicht, das allen Menschen zugesagte Heil dadurch zu verweigern, dass wir davon Abstand nehmen, Sakramente und vorhergehende Betreuung ganzen Schulklassen anzubieten. Die Gemeinde versteht sich auch keineswegs als exklusives Modell für die Kirche, jedoch als ein sinnvoller, wichtiger und berechtigter Teil der wünschenswerten Vielfalt kirchlichen Lebens (s. Zitat Karl Rahner am Ende dieses Briefes).

 

Wir sind uns des weiteren bewusst, dass bisherige pfarrliche Tätigkeiten nicht von heute auf morgen eingestellt werden können und dies auch nicht immer sinnvoll ist. Deshalb verweisen wir nochmals auf das Angebot zu Ihrer Unterstützung bei der Sakramentenvorbereitung. Konkret könnten jetzt sofort eine ausgebildete Pastoralassistentin (Schwester aus dem Haus Sarepta) und in näherer Zukunft auch ein Diakon aus dem Raum unserer Gemeinde bei dieser Arbeit mithelfen. Deren Einbindung in die pfarrlichen Tätigkeiten in Atzgersdorf wäre zweifellos finanziell günstiger als die Errichtung einer eigenen Pfarrei.

 

Der Schwerpunkt im Apostolat der Gemeinde Endresstraße liegt auf der wirklichen Einbindung in eine lebendige Glaubensgemeinschaft, die zum aktiven Christsein in gegenseitiger Verantwortung befreit, weniger dagegen auf dem Weg einer vorübergehenden Betreuung. Wir bemühen uns, Anziehungs- und Versammlungsort für Menschen der Umgebung zu sein, Suchenden und Zweifelnden eine Heimat zu geben. Grundlage ist uns dabei das Missionsmotiv der Völkerwallfahrt (Jes 2), das im Neuen Testament u. a. in der Bergpredigt seine Fortsetzung findet. Wir versuchen auch, Menschen einen Platz in der Kirche zu geben, die mit dem allgemeinen Kirchenbild Schwierigkeiten hatten bzw. durch ihre persönliche Lebensgeschichte in Distanz zur Kirche geraten sind.

 

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Weitergabe des Glaubens an Kinder und Jugendliche. Während der Messfeier gibt es einen Wortgottesdienst für Kinder in kleineren Gruppen. Alle Kinder, nicht nur solche aus der Gemeinde, sind dazu eingeladen. Diese seit zwei Jahrzehnten bewährte Form wurde von anderen Gemeinden bereits übernommen. Kinder und Jugendliche treffen einander auch wöchentlich in eigenen, ihrem Alter entsprechenden Gruppen. Sie werden dabei von Erwachsenen aus der Gemeinde begleitet. Diese Gruppen sind ebenfalls offen für alle Kinder aus der Umgebung.

 

Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass viele auf diese Weise zum Glauben und auch zu einem festen Platz in der Kirche gefunden haben. Wir freuen uns besonders über zahlreiche junge Menschen, die heute auch Verantwortung in der Gemeinde übernommen haben.

 

Die Gemeinde Endresstraße ist entstanden aus dem Bedürfnis nach Alternativen zu pfarrlich strukturierten Kirchengemeinden. Nicht nur, dass wir selbst sehr gute Erfahrungen mit unserer Form kirchlicher Gemeinschaft gemacht haben und die Gemeinde seit 1973 auch beträchtlich gewachsen ist, sehen wir es vielmehr auch als uns übergebene Aufgabe in der gesamten Kirche Christi an, dieses Angebot für Menschen der näheren und auch weiteren Umgebung aufrecht zu erhalten. „Es ist aus theologischen Gründen und auch nach dem Zeugnis der Geschichte einfach nicht so, dass von einem bestimmten Territorium her verfasste Pfarreien alleine die Grundelemente der Kirche sein könnten. Wenn sich lebendige Christengemeinden von den Christen selber her bilden, wenn diese eine gewisse Struktur, Festigkeit und Dauer haben und erreichen, haben sie ebensoviel Recht wie eine Territorialpfarrei, als Grundelement der Kirche, als Kirche von der Kirche des Bischofs und von der Gesamtkirche anerkannt zu werden, auch wenn ihr konkretes Assoziationsprinzip nicht ein Territorium ist, das von der Kirche des bischöflichen Amtes abgegrenzt wird und einfach die darin wohnenden Christen umfasst." (Karl Rahner, Strukturwandel der Kirche).

 

Wir ersuchen, bei aller kritischen Beurteilung der Mängel und Fehler der Gemeinde Endresstraße, um ebendiese Anerkennung.

 

Mit freundlichen Grüßen

Gemeinde Endresstraße

 

PS: Über den Inhalt des Briefes würden wir auch gerne mit Ihnen und/oder dem PGR ein Gespräch führen.

 

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