[21] Steckkontakt, Ausgabe Mai 2001

 

Brief von Erwin Pucelj an die Gemeinde

 

Liebe Freunde in und der Gemeinde!

 

In vielen Gesprächen wurde mir bestätigt, dass der Inhalt meines Schreibens an Weihbischof Dr. Helmut Krätzl vom 15. 2. 2001 (Steckkontakt März/April) in etwa die Gemeindemeinung trifft. So scheint es mir wichtig, uns mit der Antwort vom Weihbischof Krätzl intensiv zu beschäftigen:

 

Erstens hat gerade dieser Bischof die höchsten Sympathiewerte in der Gemeinde. Zweitens finden wir große Übereinstimmung mit dem Inhalt seines Buches: „Im Sprung gehemmt“, das sich kirchenkritisch mit der Zeit vom Konzil bis heute beschäftigt. Drittens müssen wir uns auch selbst immer wieder kritisch hinterfragen.

 

Ich möchte Euch zu einigen Stellen aus diesem Schreiben meine persönlichen Gedanken sagen, die eventuell Ausgangspunkt eines Diskussionsvorganges sein können:

 

1.)   Wir werden so ernst genommen, dass sogar unser kleines Gemeinde-Kommunikationsblatt „Steckkontakt“ vom Bischof gelesen wird.

 

2.)   Über die Einladung zu einem persönlichen Gespräch würde ich mich, so wie eine Reihe anderer in der Gemeinde, sicher freuen.

 

3.)   Der Begriff „Auslaufmodell“ für „Volkskirche“ stammt vom leider viel zu früh verstorbenen BV Toni Berger. Univ. Prof für Pastoraltheologie Dr. Paul M. Zulehner fordert auf, nicht den sich abzeichnenden Untergang der Kirche zu verwalten, sondern den Übergang in eine neue Form (Gemeinde-Kirche?) zu gestalten.

 

4.)   Auf der Basis der Gedanken, die Medard Kehl SJ in seinem 11seitigen Artikel „Kirche als Dienstleistungsorganisation“ festhält, könnten wir uns als Gemeinde mit WB Krätzl ohne weiters treffen und Übereinstimmung erzielen. Steht doch bereits in meinem Brief v. 15. 2.: „... kann man nur hoffen, dass doch positive Gedanken von den Sakramentenvorbereitungen bei den Kindern und Jugendlichen hängen bleiben“. Sowie: „...dass man Trauungen, Taufen, Einsegnungen, auf die Kirchenbeitragszahler als Festverschönerungen Anspruch erheben, bestmöglich pastoral nutzen soll (wozu ich als Diakon unserer Pfarre immer wieder reichlich Gelegenheit habe).

Auch bei Medard Kehl SJ kommt jedoch ab Seite 8 das „Aber“:

Zitat von Seite 9: „Denn Gottes Heil kommt auf der Seite der menschlichen Antwort erst da definitiv, also unzerstörbar und in seiner Fülle bei uns an, wo es die Gestalt der konkreten menschlichen Person Jesu Christi und der konkreten, ihn öffentlich bezeugenden Glaubensgemeinschaft annimmt; wo sich also die Kirche in der Nachfolge Christi ganz von dieser Fülle der Liebe Gottes erfüllen lässt und so zum Leib Christi wird.“

Und Zitat von Seite 11: „Auf der anderen Seite gibt es natürlich bereits sehr viele Ansätze für das, was ich mit „kirchlicher Eigenkultur“ bezeichnen möchte. Sicher nicht nur in einigen der neuen geistlichen Gemeinschaften, die dafür allerdings den deutlichsten und hoffnungsvollsten Ausdruck darstellen. Ich denke hierbei zum Beispiel auch an ... die verschiedensten Typen von „geistlichen Zentren“, die Menschen heute eine kirchliche Heimat bieten; ..... an die vielen Familienkreise in Gemeinden, gerade auch bei jüngeren Familien, an Gebets-, Bibel‑ und Glaubenskreise, oder an Gemeinden, die als Ganze durch ihre spezifische Diakonie oder ihre Gottesdienstgestaltung oder ihre Spiritualität ein weit über den Ort hinaus anziehendes Profil gewinnen.

 

5.) Mit der großen Menge von Taufscheinchristen meinte ich nicht die 100 bis 200 Mitglieder unserer Pfarrgemeinde, die in unterschiedlicher Intensität den Pfarrgottesdienst am Sonntag um 9.30 besuchen, sondern die 4300, die nominell auch zur Pfarre gehören. Der Vorwurf der Überheblichkeit basiert daher auf einem Missverständnis.

 

6.) Meine Erfahrungen an der Seite von BV Toni Berger beschränken sich auf Pfarrfirmungen vor 2 und 3 Jahren in unserer Pfarre, und da hatte ich persönlich die beschriebenen Eindrücke (kaum Pfarrangehörige dabei, Desinteresse der Begleitpersonen). Nie kann ich etwas über Pfarrfirmungen anderer Pfarren aussagen, da ich nichts darüber weiß.

 

7.) Mit dem Ausdruck „Privattaufe“ bezeichne ich Tauffeiern, bei welchen außer dem Zelebranten ausschließlich Verwandte und Freunde des Täuflings und seiner Eltern teilnehmen. Dies ist keinesfalls eine Abqualifizierung. Es ist meiner Meinung nach das weitest mögliche Entgegenkommen und Ernstnehmen der Wünsche der Kindeseltern und Großeltern. Ich kenne auch Pfarren, die nur einen Tauftermin pro Monat anbieten, im Anschluss oder am Ende des Sonntagsgottesdienstes, wo alle zusammengefasst werden. Ein besonderes Eingehen auf die individuelle Familie und den speziellen Täufling ist dabei wohl kaum möglich. Wenn die betreffende Familie bei den Gottesdienstbesuchern unbekannt ist, was in der Regel der Fall ist, ist die Abfertigung im Rahmen der Sonntagsmesse praktisch nur eine Arbeitserleichterung für den Pfarrer. Diese Rationalisierung in der Sakramentenspendung geschieht in den wenigsten Fällen aus Bequemlichkeit, sondern wegen Überlastung der Geistlichen. Dabei gehört es zu den Höhepunkten der Arbeit eines Priesters oder Diakons, mit den Betroffenen eine Taufe oder Trauung vorzubereiten und zu feiern.

 

8.) Einig sind wir mit Bischof Krätzl in der Kritik an der Kirchenführung betreffend der Maßnahmen gegen Priestermangel:

Zitat aus seinem Buch „Im Sprung gehemmt“, Seite 45f: „Ich schlug vor, die geltenden Zulassungsbestimmungen zum Priesteramt zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern, weil, was rein kirchlichen Rechtes ist, geändert werden müsste, wenn höhere Werte auf dem Spiele stehen“.

Darauf haben übrigens schon sehr viele Bischöfe besorgt hingewiesen, besonders deutlich und zu wiederholten Malen der frühere Bischof von Innsbruck, Reinhold Stecher. Es ist erschreckend, dass neuerdings innerhalb der katholischen Kirche mit so viel Einsatz und Emotion über alte und neue Liturgie gestritten wird, über redaktionelle Fragen des Messbuches, über liturgische Kleidung und die „Kunst des Zelebrierens“, man dabei aber fast schamhaft verschweigt, dass vielfach die Priester fehlen, die allein kraft ihrer Weihe Eucharistie leiten können. Ich glaube, dahinter steht die Angst, man müsste sonst eine viel tiefgreifendere Reform angehen.

 

9.) Abschließend möchte ich noch ein Zitat von der letzten Seite (215) des Krätzl-Buches bringen, das (wie das ganze Buch) die geistige Übereinstimmung mit unserer Gemeinde dokumentiert:

„Ich sehe das Wirken des Geistes bis hinein in die neuen Aufbrüche der Kirche, die es ohne das Konzil wohl nicht gegeben hätte. Ich meine nicht nur neue spirituelle Gruppen, sondern ein so erstaunliches Engagement von immer mehr Laien in den Pfarren. Für mich sind auch die kirchenkritischen Gruppen eine Frucht des Wirkens des Heiligen Geistes, der sich wohl ihrer bedient, um unerkannte Mängel in der Kirche endlich aufzudecken und längst fällige Erneuerungen anzumahnen. Der Geist des Konzils hat zu einer wachsenden Offenheit in der Kirche geführt, zur größeren Selbständigkeit der einzelnen Kirchenglieder, zum Mut, Neues zu beginnen und alten Ballast abzuwerfen. Ich meine, dass der Geist heute in Basisgruppen wirkt und auch in Bischöfen weltweit, dass er auch in anderen christlichen Kirchen wirkt, um uns an das gemeinsame Erbe zu mahnen, aber auch an die Mängel, die zur Trennung führten. Der Geist des Konzils lässt sich nicht aufhalten. Und wo man sich ihm widersetzt, wird manches so ad absurdum geführt, dass es dann, wenn auch später, wie von selbst zu großen Änderungen kommen wird."

Erwin Pucelj

 

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