[23] Steckkontakt, Ausgabe März 2005
Fürchte dich nicht!
„Fürchte dich nicht“ war das Motto unserer Weihnachtsmette, an deren Gestaltung
ich
mitwirken konnte. Dabei haben wir versucht, die Ängste von Josef und Maria
nachzuvollziehen, als sie auf ihrem Weg von Nazaret nach Betlehem waren und mit
Sorge
den dortigen Geschehnissen entgegensahen. Wir haben aufgezeigt, mit welchem
In der Folge erörterten wir die Auswirkungen der Geburt Jesu Christi auf unser
heutiges Leben. Plagen uns nicht ähnliche Sorgen, wie sie wohl die Menschen vor
der Zeit Jesu zu
tragen hatten? Fällt es uns heute leichter, mit Schmerz, Leid oder Demütigung
umzugehen
als vor 2.000
Jahren? Und wir kamen zur Erkenntnis, dass trotz aller Widerwärtigkeiten des
Lebens uns Gott Halt gibt. Dass wir die Gewissheit spüren dürfen, dass wir im
Chaos nicht
verloren gehen. Wörtlich hieß es in unserem Resümee u.a.:
„Du hast dann Sicherheit, dass
Es war für mich ein feierliches Weihnachtsfest, und mehrere Messteilnehmer
pflichteten uns
anerkennend ob unseres Mottos bei — Fürchte dich nicht!
Wenige Stunden später kam sie. Die Flutwelle, die mein Weltbild, meinen Glauben
veränderte.
Mit unvorstellbarer Wucht wälzten Riesenwellen über die Küsten Südostasiens und
vernichteten über 250.000
Menschen, davon eine überproportional große Anzahl Kinder und
dazu auch noch die Infrastruktur ganzer Regionen. Fürchte dich nicht?
Fassungslos stehe ich dem grauenhaften Ausmaß der Katastrophe gegenüber. Wie kann ein Gott, unser Gott, so etwas zulassen. Ich versuchte zu ergründen, wie Freunde und Bekannte mit dem Geschehen fertig werden. Einer meinte: „Dies wäre eine Naturkatastrophe, Gott könne man dafür nicht verantwortlich machen!“
Wie
das? Beten wir nicht „... Schöpfer des
Ich fasse es nicht! Warum setzt mir gerade diese Katastrophe so besonders zu?
Was unterscheidet
sie von anderen? Liegt es daran, dass die Unglücke oft durch starke Mitwirkung
von
Menschenhand hervorgerufen oder begünstigt wurden (Regenwaldzerstörung,
Klimaerwärmung etc.), wir also (mit)schuldig sind? Entlastet das Gottes
Verantwortung für das
Universum und belastet es gleichzeitig unser Gewissen? Oder liegt es daran, dass
üblicherweise die Berichterstattung immer nachhinkt? Wir sehen immer nur,
was
geschehen ist, beispielsweise verzweifelte Menschen in den Trümmern einer vom
Erdbeben vor Stunden
oder Tagen zerstörten Stadt. Schlimm genug, doch diesmal war es anders. In
Amateurvideos
konnte man sehen,
wie
es geschah! Diese Berichterstattung gab der Tragödie eine völlig neue
Dimension. Die Momente der Zerstörung und der Vernichtung waren in allen
Einzelheiten erkennbar, Menschen schlugen wie Puppen gegen Hindernisse, wurden
ins Meer getragen,
Häuser brachen wie Zündhölzer auseinander. Nie werde ich das Titelbild im
„Profil“
Dann las ich im „Kurier“ zu diesem Thema unter dem Titel „Unfassbar“ einen
Beitrag von
Fr. Birgit Schiller, evangelische Pfarrerin, den ich im Folgenden ungekürzt
wiedergebe:
Das hat mit Gott nichts zu tun! Ich würde es auch gern sagen können
angesichts der Katastrophe in Südostasien, denn es würde mich entlasten. Persönlich und als
eine, die in
gewisser Weise für diesen Gott gerade stehen muss. Ich kann es kaum
aushalten, dass Gottes Plan mit der Welt, mit den Menschen, mit jedem Einzelnen
so oft Wendungen enthält, die all
dem, was uns richtig und gerecht erscheint,
widersprechen.
Ich verzweifle auch
fast an der Frage, warum er seine Macht einsetzt auf eine Art und Weise,
die kaum erträglich
ist, die allem zuwiderlauft, was man sich unter Gott vorstellt.
Weil Gott uns in Jesus so klein entgegenkommt, haben wir beinahe vergessen,
dass sein Wesen trotzdem so viel größer bleibt als alles, was wir fassen können. Wir
wollen einen begreifbaren Gott, einen, den wir verstehen, einen „lieben Gott" und mit
dieser Liebe ist
meist eine gemeint, die alles so fügt, wie wir das wollen.
Aber so ist Gott nicht. Er ist nicht in unseren kleinen Verstand zu
bringen. Menschen haben diese Unbegreiflichkeit Gottes erlebt. Das übersteigt oft unsere Kraft,
auch unsere Glaubenskraft. Die einen flüchten sich in den Atheismus: „Die einzige
Entschuldigung für Gott ist, dass es ihn nicht gibt!“ Andere suchen andere
Entschuldigungen: „Dafür ist Gott
nicht zuständig. Damit hat Gott nichts zu tun.“
Aber wenn nicht Gott dahintersteht, wenn nicht er in all der Zerstörung,
in all dem Tod und dem Leid den Horizont sieht, den ich nicht sehen kann, wenn
er nicht das letzte Wort hat —wer hat es dann? Ein blinder Zufall? Ein seelenloses Schicksal? Eine
biotechnische Evolution? Wenn Gott es nicht ist, der mein Leben letztendlich trägt und
hält, was dann? Gott tötet und macht lebendig! Dieser Vers aus
dem 1. Buch Samuel ist ein harter, beinahe brutaler Vers: Die Unbegreiflichkeit Gott und
die Anerkennung, dass nur er der Herr über
Leben und Tod ist.
Auch wenn es einfacher wäre, Entschuldigungen zu suchen, glaube ich
doch, dass dieser
unfassbare Gott unsere einzige Hoffnung ist.
Ja, mit dieser Interpretation über das Wesen Gottes kann ich leben. Aber es
entspricht nicht
dem Gottesbild, das ich in unserer Gemeinde kennen lernen dufte. Wie hat unser
unvergesslicher
Pater Müller immer wieder versichert? „Gott liebt die Menschen!“ „Oh weh, Tone“,
möchte ich ihm heute gerne erwidern. Ja, Gott liebt die Menschen - vielleicht,
wenn er sie
nicht gerade ersäuft.
Ich denke, dass wir in Jesu' Wirken seine Liebe, seine Barmherzigkeit, seine
Gerechtigkeit, sein Verzeihen als Gottes Liebe in uns aufgenommen haben. Ihm
nachzufolgen ist unser
Auftrag. Aber sein gewaltloses Vorbild hat mich das Gottesbild meiner Kindheit
von einem
strafenden, zerstörenden Gott, wie wir es aus vielen Stellen des Alten
Testamentes kennen,
leider fälschlicherweise völlig verdrängen lassen.
Lasset die Kinder zu mir kommen, hat Jesus gesagt und damit den Kindern einen
besonderen
Stellenwert in unserem Leben eingeräumt. Der dreieinige Gott hat an jenem 26.
Dezember 2004 nun Zigtausende zu sich geholt, in all seiner Liebe, Güte und
Barmherzigkeit.
Ich werde damit nicht fertig. Seit dem Katastrophentag war ich nur zweimal in
einer Messe:
zu
Ehren Franz B's Siebziger und in Ausübung meines Messdienstes. Aber ich habe die
Kommunion verweigert und nicht mitgesungen. Ich will, nein, ich kann diesen
Gott, der
mehr als eine Viertelmillion Menschen erbarmungslos ertränkte, nicht lobpreisen.
Und was
noch schlimmer ist, ich habe jeglichen Zugang zum Wort Gottes verloren.
Das Seebeben hat also nicht nur Menschenopfer gefordert, sondern offensichtlich
auch Seelen gebrochen. Mit diesen Erkenntnissen sage ich daher aus heutiger
Sicht „Fürchte
Dich“, in meiner ganzen Verzweiflung! Unfassbar!
Fritz Straka
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