[25] Steckkontakt, Ausgabe Juni 2005

 

Sie war immer unterwegs

Luise Langenecker

 

Sie war immer unterwegs. Selten erwischte man Luise tagsüber am Telefon. Wenn man sie dann fragte: „Warst du unterwegs?“, sagte sie ja. Sie war bei einer alten Freundin, bei ihrer alten Lehrerin, bei einem Krankenbesuch, auf dem Friedhof, ... Ich hatte nie den Eindruck, ihr wäre fad. Ach ja, in früheren Zeiten half sie auch im Therapiezentrum und später beim Seniorencafé. Sie wirkte bis ins hohe Alter quicklebendig. Sie kam auch regelmäßig in die Bibelrunde. Dort und auch sonst konnte ich viele Gespräche mit ihr führen. Sie erzählte von früheren Zeiten, von ihren Eltern, von ihren Schwierigkeiten als junges Mädchen und im Beruf. Ich bin ihr dafür sehr dankbar.

 

Sie schenkte mir auch eine Bibel, es war die ihres Vaters. Sie las uns in der Bibelrunde auch den Abschiedsbrief ihres Vaters vor, er war wie ein Vermächtnis, nicht nur an seine Tochter. Sie erzählte, wie sie ihr Leben bis zum Ende ordnen wollte. „Wer soll denn einmal mein Grab pflegen?“, meinte sie und verschrieb ihren Körper der forschenden Medizin. Und gerade das Ordnen ihres Lebens brachte für sie die stärkste Veränderung.

 

Sie suchte in den SOS-Kinderdörfern ein Mädchen, dem sie ihre Wohnung schenken wollte, wenn sie einmal ins Pensionistenheim geht. Es wurde kein Mädchen, es wurde Herbert. War Herbert für Luise ein Glückstreffer oder Luise für Herbert? Beides. Nun hatte sie jemanden, der sich um sie sorgte, und auch sie sorgte für Herbert. Und es glückte auch der letzte Schritt. Es war eine der letzten Erwachsenenadoptionen in Österreich, und so hatte Luise einen Sohn und Herbert eine Mutter. Auch wenn diese Beziehung nur kurz war, so war sie doch sehr intensiv. Nun hat sie jemanden, der ihr Grab pflegt. Von ihrem Vermächtnis an die Medizin hat sie in letzter Zeit nicht mehr gesprochen.

 

Danke, liebe Luise.

 

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