[30] Steckkontakt, Ausgabe Mai 2007

 

Können wir den Geist Gottes aus dem christlichen Glauben weglassen?

 

Weihnachten ist wohl das Fest im christlichen Alltag, das mit dem größten Aufwand und Augenmerk gefeiert wird. Ostern als eigentlich erstes und wichtigstes Fest des Kirchenjahres erhält zumindest liturgisch noch umfassende Beachtung. Sonst wird es im familiären Kontext wohl eher als Ostereiersuchspiel wahrgenommen und die Verbindung dieser Tradition zum Inhalt wird schon kaum jemand mehr erklären können und noch weniger wohl konkret mit der eigentlichen Mitte des Festes, der Auferstehung, verbinden.

 

Pfingsten und das Herabkommen des Geistes

 

Weder alltäglich noch liturgisch besonders hervorgehoben wird das dritte Fest im Ablauf des Kirchenjahres: Pfingsten, das kirchliche Fest des Heiligen Geistes, das am 50. Tag, also sieben Wochen nach Ostern gefeiert wird. Auch der Name des Festes leitet sich von „pentekoste" ab, dem grie­chischen Begriff für „fünfzig". Nach ebenso vielen Tagen endet die österliche Festzeit. Pfingsten gilt in der Kirche als das „Hochfest des Heiligen Geistes“. Es erinnert an das Ereignis des Herabkommens des Heiligen Geistes, den die Jünger Jesu nach seinem Tod „empfangen haben“. An diesem Tag begannen sie, entsprechend der bekannten Erzählung aus der Apostelgeschichte, Jesus als den Auferstandenen zu verkünden. Pfingsten wird darum auch als Geburtstag der Kirche betrachtet.

 

Während in Apg 2 sich die Ausgießung des Geistes noch unter Brausen und Sturm mit fast greifbaren Zungen wie von Feuer ereignet, gibt es auch noch eine andere Perikope in der Apostelgeschichte (Apg 19,1ff.), die ebenfalls vom Herabkommen des Geistes erzählt. Vielleicht ist diese weniger einprägsam, weil sie nicht die dramatischen Bilder verwendet, aber vielleicht steht sie gerade deshalb der Lebensgeschichte der meisten von uns auch näher:

Während Apollos sich in Korinth aufhielt, durchwanderte Paulus das Hochland und kam nach Ephesus hinab. Er traf einige Jünger und fragte sie: Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, als ihr gläubig wurdet? Sie antworteten ihm: Wir haben noch nicht einmal gehört, dass es einen Heiligen Geist gibt. Da fragte er: Mit welcher Taufe seid ihr denn getauft worden? Sie antworteten: Mit der Taufe des Johannes. Paulus sagte: Johannes hat mit der Taufe der Umkehr getauft und das Volk gelehrt, sie sollten an den glauben, der nach ihm komme: an Jesus. Als sie das hörten, ließen sie sich auf den Namen Jesu, des Herrn, taufen. Paulus legte ihnen die Hände auf und der Heilige Geist kam auf sie herab; sie redeten in Zungen und weissagten. Es waren im ganzen ungefähr zwölf Männer. Er ging in die Synagoge und lehrte drei Monate lang freimütig und suchte sie vom Reich Gottes zu überzeugen. Da aber einige verstockt waren, sich widersetzten und vor allen Leuten den (neuen) Weg verspotteten, trennte er sich mit den Jüngern von ihnen und unterwies sie täglich im Lehrsaal des Tyrannus.”

 

Zumindest mich erinnert diese Erzählung an einiges aus meiner eigenen Geschichte des Christ-Werdens. Ich erlaube mir daher auch einige Überlegungen mit einem etwas freieren und nicht streng an die Regeln der bibeltheologischen Auslegung orientierten Blick auf den Text:

Einige Menschen, vielleicht von Jesus Christus und der Botschaft der Auferstehung angesprochen, aber noch stark in den Gedanken von Umkehr und Gericht der Botschaft des Johannes des Täufers verhaftet, werden von Paulus mit Jesus Christus konfrontiert.

 

Und sie werden bereits als gläubig bezeichnet, ohne auch nur zu wissen, dass es einen Heiligen Geist gibt. (Der Glaube an einen dreieinigen oder dreifaltigen Gott ist für Paulus oder zumindest den Schreiber der Apostelgeschichte also offenbar nicht einmal Voraussetzung, dass die Menschen hier als gläubig und sogar als „Jünger“ zu bezeichnen sind, da sie ja den Heiligen Geist nicht einmal „kennen“).

 

Sie sind allerdings bereit zuzuhören und lassen sich auch überzeugen und zuletzt auch auf den Namen Jesu, des Herrn, taufen. Der Zusatz „des Herrn“ ist mehr als nur ein Anhängsel zum Namen „Jesus“. Es vielmehr das kürzeste Glaubensbekenntnis der Christen, denn „Herr“ ist schon im Alten Testament die Bezeichnung für Gott selbst. Und sich „auf den Namen Jesu“ taufen lassen, lässt sich vielleicht ganz gut übersetzen mit: sich einbinden lassen in den Wirkungsbereich Jesu, in den Lebensbereich, wo Jesus zur Sprache kommt, gegenwärtig ist, angesprochen wird (mit Namen) und selbst (persönlich zu mir) spricht.

 

„Sie ließen sich auf den Namen Jesu, des Herrn, taufen“. Ausgedeutet möchte ich diesen Satz sinngemäß so zum Ausdruck bringen: Die Jünger hören und lassen sich ein auf den Wirkungsbereich Jesu, der als der Herr selbst erkannt wird und selbst Gott ist. Und sie tun dies auch bewusst in der Handlung der Taufe, die „Taufe des Johannes“ allein reicht offenbar nicht. Sie bezieht sich auf die Umkehr des Menschen auf Grundlage der Verkündigung.

 

Als sie das (mit sich) zugelassen haben, legt Paulus ihnen noch die Hände auf und erst dann, nachdem sich die zuvor bereits so genannten Jünger und Gläubigen auf all das eingelassen haben, kommt der Heilige Geist auf sie herab, sie „reden in Zungen und weissagen“, können die Welt mit neuen Augen sehen und zum Ausdruck bringen. In seinen Briefen ist Paulus übrigens nicht gerade ein Freund vom „Reden in Zungen“. Er setzt es in die Nähe von „unverständlichem Gerede“, das zwar für den Betroffenen etwas bedeutet, aber für die anderen nur schwer zugänglich ist. Mit der Erfahrung des Geistes kann auch ein „Verständigungsproblem“ verbunden sein, was bedeutet, dass das sinnvolle Reden von der Erfahrung des Geistes nur im verständlicheren „prophetischen Reden“ stattfindet.

 

Außerdem ist die Erfahrung des Geistes nicht Endpunkt des Erkennens, sondern Anfang. Nach und nach wird die Welt als Welt und Erfahrungsort Gottes erschlossen, ein neues „Sehen“ und damit eine neu erlebte und interpretierte Wirklichkeit gewinnt an Raum. Die Gabe des Geistes Gottes ist eng verbunden mit dem Verstehen dessen, was Reich Gottes in dieser Welt bedeutet. Und diese Erfahrung verlangt nach einer entsprechenden Deutung. Auch Paulus beginnt in der Synagoge mit seiner Überzeugungsarbeit. Und das Verständnis dafür stößt offenbar an massive Grenzen, die auch im Spott münden können.

 

Diese Geschichte der Geistausgießung kann ich in Folge sehr gut mit den eigenen Erfahrungen in Verbindung bringen. Da gibt es Augenblicke im Leben, die einen berühren und die diese Welt auf die Erfahrung einer tieferen Dimension „durchsichtig" werden lassen. Plötzlich trifft einen der „Atem Gottes“ und die Größe und Schönheit des Augenblicks. Gott legt dem Augenblick die Hände auf und der im Alltag trübe Blick wird klar. „Der Himmel hat die Erde berührt“ — wie es in einem unserer Lieder heißt — und der Blick auf diese Erde gewinnt eine andere Dimension. Damit beginnt ein Weg, der nach und nach als tragfähig erfahren wird, immer wieder der Deutung bedarf und sich für solche und dieser Ersterfahrung ähnliche Erfahrungen öffnet.

 

Der Geist Gottes auf der Ersatzbank?

 

Der „Geist Gottes“ ist daher heute vielleicht die zu Unrecht vergessene und vernachlässigte „dritte Person des dreifaltigen Gottes“. Die beiden christologischen Feste Weihnachten und Ostern haben ja noch Bedeutung für uns. Wir verstehen zumindest noch die Rede von Gott als Schöpfer des Universums, der irgendwann einmal ihe Erde „gemacht“ hat. Auch Jesus Christus, als der, der uns vorbildhaft vorlebt und zeigt, wie Gott sich uns Menschen eigentlich vorgestellt hat, als Handlungsorientierung und Vorbild, fangen wir noch sehr viel an. Schließlich gibt es im Zusammenhang  mit Jesus genug (greifbare) Erzählungen und Worte in den biblischen Schriften, die uns vertraut sind und auch als „Anleitung“ für unser eigenes Handeln maßgeblich sind. Jesus als „Sohn Gottes“ oder „Herr“ zu sehen und was uns das tatsächlich im Alltag bedeutet, ist schon nicht mehr so leicht zu begreifen.

 

Und oft gänzlich  ungreifbar bleibt uns, was in biblischen Texten mit dem Wirken des Geistes gemeint ist und ausgedrückt werden soll. Kinder (und manchmal auch unsere tägliche Ausdrucksform?) bringen diesen  Ausdruck ja sogar in die Nähe von „Gespenst“. Manchmal kommt der „Heilige Geist“ dann noch zur Sprache, wenn etwas Unerklärliches oder nicht Nachvollziehbares geschieht, der Lückenbüßer für die wenigen nicht mehr erklärbaren Dinge des Lebens.

 

Wieso also ist es für uns Christen bedeutsam, den Heiligen Geist zu verstehen oder wie es biblisch heißt, „mit heiligem Geist getauft" zu sein?

 

Wohl nur ganz wenige von uns haben eine Erinnerung an die eigene Taufe. Als Erwachsene erleben wir dann die Taufe anderer Kinder noch immer als eine Taufe mit Wasser, das noch dazu angewärmt und vorsichtig mit wenigen Tropfen über unsere Säuglinge geträufelt wird, um sie auch nicht zu irritieren. Wie soll denn auch ein so kleines Kind den Geist Gottes empfangen können? Was ist überhaupt damit gemeint, wenn wir vom Geist Gottes sprechen?

 

In der Realität unseres Alltags sind wir bereits gewohnt, unser tägliches Leben in bestimmte Kategorien einzuteilen. Auch unsere von Wissenschaften geprägte Sicht der Realität wie auch unsere Bildung vermittelt uns ein analytisches und in einzelne Bereiche aufgeteiltes und zerteiltes Weltbild: da gibt es den Bereich der Wissenschaft, die uns vermittelt, wie die Welt tatsächlich ist. Dort ist der Bereich der Wirtschaft, die unsere sachliche Grundlage für unser Leben bildet. Weiters der Bereich der Medizin, die physiologische Defekte repariert usw. Und wenn all diese Bedürfnisse erfüllt sind, dann gibt es am Ende der Bedürfnisskala auch noch die religiöse Perspektive, die für das psychische Wohl zuständig ist. Doch halt, das erledigt doch bereits die Psychologie — also für den Bereich der Lebensdeutung, der Unterstützung der gesellschaftlichen Werte und einigen anderen Aufgaben zur Förderung eines glücklichen Lebens.

 

So kommt es dann (natürlich auch durch reduzierte Deutungen seitens der Kirche unterstützt) konsequenterweise zu Widersprüchen zwischen den biblischen Schöpfungsentwürfen der Sieben-Tage- Schöpfung, oder der Erschaffung von Adam und Eva auf der einen Seite und den naturwissenschaftlichen Theorien der Expansion des Weltalls aus einem Urereignis „Urknall“ oder der Entststehung des Menschen als Ergebnis eines Vorgangs von Mutation und Selektion in der Evolutionstheorie von Darwin. Der Schöpfer-Geist, der Lebensatem Gottes als Anfang der Welt und meiner selbst sieht angesichts solcher Theorien heute blass aus.

 

Oder etwas konkreter auf den Alltag bezogen: Bringen wir tatsächlich eine konkrete Liebesbeziehung zu einem Menschen in Zusammenhang mit dem Geist Gottes? Alltäglich ist das Religiöse wohl etwas „Zusätzliches“, das dann ins Spiel kommt. Liebe alltäglich verstanden ist vorerst einmal Liebe der Liebenden, Liebe die zwischen Menschen stattfindet und (bestenfalls) erst „nachträglich“ zur Erfahrung Gottes wird.

 

Ist die Erfahrung gemeinsam „auf die Beine zu stellen“, zu erschaffen, tatsächlich eine Erfahrung des Wirkens der Schöpferkraft des Heiligen Geistes in uns? Oder klopfen wir uns nicht tatsächlich lieber selbst auf die Schultern, finden eigentlich selten einen Grund, genau dafür Gott zu danken, und sehen häufig überhaupt keinen Zusammenhang  mit dem Wirken Gottes?

 

Wir denken sicher oft so. Ich vermute aber, dass wir dann (noch) nicht ganz begriffen haben, was mit einem Leben im Geist Gottes gemeint ist. Wenn wir Religion immer als ergänzendes Element zur handfesten Realität auffassen, das zusätzlich zu den Grundbedürfnissen im Leben dazu kommt, das Leben bloß um eine Facette bereichert, wenn wir Religion als Dachgeschoß des Lebens auffassen, dann hat der Geist Gottes in der Wahrnehmung unseres Leben nicht bis in die Wurzeln gegriffen.

 

Eine in diesem Zusammenhang manchmal gestellte Frage, die (so höre ich sie jedenfalls immer wieder) darauf hindeutet: Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen einem Christen und einem „Humanisten“, der sich ja ebenfalls — und das oft viel er­folgreicher als wir Christen — um ein gutes Leben bemüht? Dahinter steht vielleicht auch die (verborgene und kritisch mit aller Berechtigung gestellte) Frage: Was ist die Identität des (meines) Christseins? Warum bin ich eigentlich Christ?

 

Geist Gottes als Lebenskraft (Ruach)

 

Auch dem biblischen Verständnis entsprechend kommt der Geist Gottes nicht zum Leben dazu, sondern ist an der Erschaffung des Lebens beteiligt. Der hebräische Begriff Ruach (Wind oder Atem) ist die Lebenskraft, die uns erst lebendig macht. Der Geist Gottes selbst ist es, der lebendig macht. Wenn wir also nach dem Geist Gottes suchen, so finden wir ihn (- eigentlich ist das hebräische Wort Ruach weiblich, also müssten wir sagen: „finden wir sie“) ganz nahe dort, wo wir nach unserem Leben selbst fragen: „Warum bin ich eigentlich? Woher kommt mein Leben? Wie kommt es, dass ich überhaupt lebe?"

 

Und wenn wir nach dem Geist Gottes suchen, dann sollten wir nicht nach etwas suchen, das als Bestandteil in unserem Leben zu finden ist, sondern vielmehr nach dem Grund unseres Lebens. Gott haucht Adam (dem Menschen) schon bei der Schöpfung den Lebensatem ein. Der Geist ist längst da, bevor wir überhaupt da sind, oder etwas gewagt formuliert: Der Geist Gottes atmet von Anfang an in uns.

 

Derselbe Begriff Ruach wird im Alten Testament im Zusammenhang mit der Fähigkeit des Erkennens und Wollens (Vernunft und Wille) verwendet. Der Prophet Ezechiel diagnostiziert das Scheitern Israels als Folge eines „versteinerten Herzens“. Nicht die Gesetze selbst sind schlecht, sondern Israel hat es nicht geschafft, sich danach zu orientieren. Der Versuch, Weisungen Gottes in ethischen Dimensionen zu verwirklichen, wird als gescheitert betrachtet endet in der Katastrophe. Ebenso kann es — so glaube ich — gelingen, die Umsetzung des Christseins über moralische Forderungen zu erfüllen. Wenn sich Christsein darauf beschränkt einer Jesus-Lehre oder einem Jesus-Vorbild nachzueifern, mit Hilfe von Sätzen, die mit „du sollst“ beginnen oder die einen am Verhalten Jesu orientierten Verhaltenscodex vorschreiben, wie wir uns als Glaubende zu verhalten haben, dann werden wir daran scheitern. Wir müssen ja in Geschichte und Gegenwart oft die Diagnose ernst nehmen, dass wir nicht „besser“ sind als viele andere Menschen, die sich nicht als Christen bezeichnen. Gesetze und moralische Forderungen mit Appellen an das Christsein sind nicht im Herzen – eigenen Denken und Wollen – verankert, sondern rein äußerliche Ansprüche. Genau so hat schon Israel die Gesetze gekannt aber nicht „erkannt“, sie stehen auf Tafeln geschrieben, aber sind kein Herzensanliegen. Denken und Wollen des Menschen haben sich dem Geist Gottes verweigert, die Hinweise und Weisungen Gottes sind Stein geblieben, Gott selbst hat keinen Platz im Verstehen und Wahrnehmen der Menschen gefunden. Deshalb ist es ähnlich der Schöpfung ein „Neuschaffen“ der Mitte des Menschen, ein neues Leben, wenn Gott das Herz des Menschen „ersetzt“ und (wieder) seinen Geist hinein legt:

„Und ich werde euch ein neues Herz geben und eine neue [„Ruach“] in euer Inneres geben, euer steinernes Herz wegnehmen und euch ein Herz von Fleisch geben. Ich lege meine  [„Ruach“] in euch und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Gebote achtet und sie erfüllt.“ (Ez 36,26-27)

 

Im Verständnis des Alten Testaments ist das Herz aber weniger Sitz von Gefühl, Pathos, Sentimentalität, sondern vielmehr der Ort des Hörens, Wahrnehmens, Erkennens und Wollens: Verleih daher deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht. (1 Kön 3,9)

 

Geschichten der Trennung des menschlichen Geistes vom Geist Gottes

 

Wenn der menschliche Geist sich so sehr vom Geist Gottes „emanzipiert", dass er nur mehr mit sich selbst beschäftigt ist und es keine „Kommunikation“ mehr gibt, dann findet in biblischer Sprache so etwas wie „Versteinerung“ statt. Gottes Wort, ausgesprochen in der Schöpfung und an uns Menschen gerichtet, bleibt ein „äußerliches“ Gebot. Umgekehrt: Wo Menschen den Geist Gottes in den Ereignissen und Begegnungen entdecken (können), dort werden Christen selbst zur Botschaft und zum „Brief“ Christi:

„Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern - wie auf Tafeln - in Herzen von Fleisch." (2 Kor 3,3)

 

Es ist wohl auch nicht so leicht, in den alltäglichen Ereignissen Gottes Geist zu entdecken. Unser Blick wird von allen möglichen Dingen geprägt und ein „Schauen Gottes“ durch alle möglichen Hindernisse verstellt. Wir stehen uns dabei oft genug selbst im Weg, der Blick wandert auf Bedürfnisse und Anliegen zurück, die nur mit uns selbst und dem Gewinn unseres eigenen Lebens zu tun haben. In dem Bestreben, uns selbst einen Namen zu machen verhindern wir, dass unser Geist in Beziehung tritt mit dem Geist Gottes, wir schotten uns ab und machen die „Luken dicht“.

 

Darum sage ich euch: Jede Sünde und Lästerung wird den Me­schen vergeben werden, aber die Lästerung gegen den Geist wird nicht vergeben. Auch dem, der etwas gegen den Menschensohn sagt, wird vergeben werden; wer aber etwas gegen den Heiligen Geist sagt, dem wird nicht vergeben, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt. Entweder: der Baum ist gut - dann sind auch seine Früchte gut. Oder: der Baum ist schlecht - dann sind auch seine Früchte schlecht. (Mt 12,31-33a)

 

Diese Stelle im Mt-Evangelium klingt in unseren Ohren sicher wie eine massive Drohung. Ihre Absicht ist es aber - so mein Ve­such der Interpretation — uns in radikaler Weise vor die Entscheidung zu stellen, mit welcher Grundhaltung wir unser Leben gestalten wollen: Entscheide dich, Mensch, ob du dein Dasein als Folge der schöpferischen Kraft Gottes im Dialog mit deinem Ursprung leben willst, oder eben nicht. Schlägst du den anderen Weg ein, kann nicht einmal Gott etwas dagegen tun. Lästerung gegen den Geist ist einfach ausgedrückt der Versuch, den Geist Gottes aus diesem Leben herauszuhalten. Die Freiheit des Menschen beinhaltet die Möglichkeit, diese (von Gott ins Leben gerufene und im Leben gehaltene) Welt ohne Antwort auf seine Gegenwart zu leben. Ziehen wir es vor, auf solche Weise in „losgelöster Freiheit“ unser Leben zu gestalten, dann kann Gott uns nicht mehr zu sich bewegen (=vergeben). Welche Möglichkeit der Wiederaufnahme würde Barmherzigkeit dem Vater in der biblischen Parabel vom verlorenen Sohn geblieben sein, wenn dieser nicht aus dem fremden Land heimgekehrt wäre?

 

Eine andere bekannte Geschichte, die vom Turmbau zu Babel, erzählt ebenfalls vom Versuch der Trennung des Menschen vom Geist Gottes.

 

Es ist der Geist der Selbstbehauptung und der Versuch, sich selbst einen Namen zu machen in Abhebung und Überheblichkeit gegenüber dem Rest der Schöpfung, der dem Geist Gottes entgegenwirkt: Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und Turm mit einer Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. (Gen 11,4)

 

Die Konsequenzen dieses „Geistes“ sind ebenfalls bekannt: keiner spricht mehr die Sprache des anderen. Der Versuch, den Geist Gotgtes mit dem eigenen Geist zu ersetzen, „in den Himmel zu bauen“, führt nicht nur zur Trennung vom eigenen Ursprung, sondern auch zur Trennung untereinander, zur „Zerstreuung“. Wenn ich die biblische Erzählung ernst nehme, ziehe ich daraus auch eine (gewagte, aber aus religiöser Perspektive nicht unbegründete) Konsequenz: Auf rein menschliche Anstrengung gegründete Versuche, eine Gesellschaft oder auch kleinere Gemeinschaft geglückten Zusammenlebens aufzubauen, ist im Ansatz bereits zum Scheitern verurteilt. Eine Gemeinschaft (ob Gemeinde oder auch Hausgemeinschaft wie im Alten Kloster), die ihre Wurzeln weniger in der Erfahrung des Geistes Gottes sucht, wird umso mehr Zerstreuung erfahren. Der Versuch, aus eigener Kraft geschwisterlich zu leben und dem Geist Gottes gleichzeitig keine Chance zu geben, macht die vermeintlichen Geschwister zu Waisen.

 

Der Geist als Kraft der Einigung

 

Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. (Apg 2,1-6)

 

Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die klassische Lesung zu Pfingsten ein Gegenbild zum Turmbau zu Babel darstellt: Wie beim Stadt- und Turmbau zu Babel befinden sich alle am gleichen Ort. Die Sprachen werden nicht verwirrt, nicht jeder spricht in der eigenen Sprache, sondern in den Sprachen der anderen. Dem Geist der eigenen nach beziehungsloser Eigenständigkeit strebenden Überheblichkeit, steht der Heilige Geist gegenüber, der alle erfüllt. Die Menschen strömen nicht auseinander, sondern zusammen.

 

Die Erfahrung geht aber nicht von einem angestrengten Versuch der Einigung aus, auch nicht in visionärer Zielentwicklung, sondern die Jünger Jesu erfahren sie sozusagen passiv. Der Geist Gottes wird nicht gemacht, sondern erfahren. Die einzige Grundlage für die gemeinsame Erfahrung ist das Zusammenkommen am gleichen Ort. Höchstens Apg 1,14 einige Sätze zuvor kann in diesem Zusammenhang noch von Bedeutung sein: Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, ...

Genau hier  ist Geburtsstunde und Lebensquell von kirchlicher Gemeinschaft zu suchen.

 

Ein kurzes Bekenntnis zum Heiligen Geist am Ende

 

Es ist nicht selbstverständlich, dass ich bin. Ich erfahre mich als ein Geschenk von Gott. Mein Atem und Leben ist von Gott „eingehaucht“. Er hat mich mit Atem und Liebe begabt, dem geliebt Werden und der Fähigkeit selbst zu lieben. Diese „Ereignisse“ als Orte der Erfahrung Gottes zu begreifen, tatsächlich zu erkennen und zu erfahren ist für mich ein Wahrnehmen, Erkennen, Spüren des Geistes Gottes. Gerade das ist eines der „Wunder“ von Pfingsten, das ich zumindest ansatzweise nachvollziehen kann. Manchmal ist diese Erfahrung auch tatsächlich mit einem „Sturm“ verbunden, der bisherige Erfahrungen ins Wanken bringen kann.

 

Wo mein Geist mit dem Geist Gottes im Glauben und Handeln in dieser Weise zusammen kommt, das sind für mich solche Höhepunkte des Christseins. Hier besteht für mich der Unterschied zum Nicht-Christsein. Keine Re­geln und Gesetze (auch wenn es moralische „Anweisungen“ sind, wie „lieb sein zueinander“ oder „einander nichts Böses tun“, oder Forderungen der Hilfeleistung) sind Kernpunkt und Hauptsache, sondern eher Wegweiser zum Christsein oder Folgen meines Christseins. Ich denke, dass so auch das Liebesgebot zu verstehen ist: Liebe in Sinne von Begegnung und Einswerden, das Leben geschenkt bekommen und es als Geschenk zu erfahren und anzunehmen. GIauben ist so eine „Geisterfahrung“, die vor jeder Leistung stattfindet.

 

Durch Hören (Wahrnehmen) und „Handauflegung“ (Berührt‑Werden) erschließen sich damit Erfahrungen, die in gewisser Weise einzigartig sind. Eine Wahrnehmung der „Welt“ als Ort Gottes, die einen qualitativen Unterschied für mich macht. Eine Begegnung, die „Weissagung“ einerseits und „Stammeln“ und Zungenrede anderseits zur Folge hat, da es mir manchmal schwer fallt, auch die richtigen Worte dafür zu finden.

 

Wo ich den Geist Gottes erfahren kann (oder könnte)? Überall! Und Ihn täglich trotz der zahlreichen Widerstände in mir und außerhalb meiner selbst am Werk zu sehen, das bedeutet für mich Christsein. Darum bin ich eingetaucht in „Heiligen Geist“ oder, biblisch formuliert, mit Geist getauft.

Nur schade, dass der „Geist Gottes“ auch bei mir einige Zeit mehr als nur die Taufe benötigt, bevor mich auch in meinen Handlungen „das Gesetz des lebendigen Geistes in Christus Jesus frei gemacht hat vom Gesetz der Sünde und des Todes“, wie Paulus das formuliert. Aber ich lebe zumindest in der Hoffnung des Geistes, die Paulus ebenfalls in Röm 8 so zum Ausdruck bringt:

„Wenn der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“

Michael Päuerl

 

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