[38] Steckkontakt, Ausgabe Dez. 2008

 

Wie wird man Wiener Christkindl?

 

Ende November habe ich unter den FAQs (Frequently Asked Questions) auf der Webseite von www.christkindlmarkt.at Folgendes gefunden: „Das Wiener Christkindl 2008 wurde bereits gewählt. Ab September 2009 steht auf der Startseite dieser Website die Frage: 'Wer wird das Wiener Christkindl 2009?' Einfach anklicken und die Bewerbungsunterlagen stehen bereit!“

 

Schade, waren meine ersten Gedanken. Ich dachte, der Advent beginnt erst und jetzt bin ich Ende November schon zu spät! Dabei wäre ich so gern in diesem Jahr ein Christkind geworden. Offensichtlich muss ich mein Christ Werden jetzt schon wieder auf das nächste Jahr verschieben. Und der Advent hätte sich so gut dazu geeignet, nicht nur zu erkennen, dass ich wieder ein Jahr älter geworden bin, sondern auch einen Schritt näher zur Kindschaft Gottes zu erleben, einen Schritt weiter mein Leben mit Gott zu verbinden.

 

Andererseits kommen auch leise Zweifel bei mir auf, ob es Sinn macht, der Aufforderung der Christkindlmarkt-Webseite zu folgen. Wer weiß schon, ob ich nächstes Jahr mehr Glück habe als heuer? Und ich vermute auch, dass meine Person und meine persönlichen Eigenschaften nicht ganz mit dem Anforderungsprofil für so ein Christkindl Schritt halten können. Wenn ich dann auch noch in die Waagschale werfe, dass die oben gestellte Frage: „Wer wird das Wiener Christkindl 2009?“ direkt nach dem „Händlerverzeichnis“ folgt und unmittelbar vor der Frage: „Warum gibt es keinen 'Turbopunsch' mehr?“ platziert ist, dann beginne ich ohnehin daran zu zweifeln, ob ich das Ganze nicht zu konsumorientiert betrachtet habe. Obwohl eine andere Stellungnahme dazu – auch die steht auf der Webseite - durchaus adventliche Züge erkennen lässt: „Der Christkindlmarkt beteiligt sich an der bundesweiten Kampagne 'Nachdenken statt Nachschenken' des Fonds Gesundes Österreich. Ziel dieser Kampagne ist es, das gesellschaftliche Bewusstsein so zu verändern, dass Alkoholmissbrauch (Stichwort 'Komatrinken') immer seltener möglich wird.“ Also doch auch Nachdenken und nicht nur Kaufen und Konsumieren bis zur Bewusstlosigkeit. Dass das aber darin mündet, dass ich jetzt nur mehr alkoholfreien Punsch trinken darf? Ob das zu meiner adventlichen Stimmung tatsächlich einen entscheidenden Beitrag leistet, das muss ich mir noch überlegen.

 

Einen Vorschlag möchte ich jedoch aufgreifen und den Advent jetzt nicht nur von der ironischen Seite betrachten. Was macht Advent und Weihnachten eigentlich aus, oder besser formuliert: Worauf kann Advent- und Weihnachtsfeier uns als Christkinder noch hinweisen? Wo kommt Gott hier noch vor, noch dazu da das Fest sich um einen Menschen dreht? „Ich glaube an Jesus Christus“, wir „verkünden deinen Tod“ und „preisen deine Auferstehung“ und erwarten dich „bis du kommst in Herrlichkeit“. Wir feiern DEINE Gegenwart in „Brot und Wein“. Alles dreht sich in der Eucharistiefeier um Jesus, Gott Vater wird demgegenüber fast ignoriert. Ist es nicht eigenartig, dass die christliche Tradition einen Menschen und nicht Gott selbst so ins Zentrum stellt? Zu Weihnachten feiern wir den Geburtstag eines Menschen, zu Ostern Auferstehung eines Menschen – beides die bedeutendsten religiösen Feste im Jahr.

 

Stellt nicht der Islam uns in richtiger Weise die Rute ins Fenster, wenn er uns Christen auffordert, doch zum Glauben an den einen und einzigen Gott zurück zu kehren? Und dieses Gerede von Jesus als Sohn und Maria als Mutter Gottes oder den Geist (wer glaubt schon an solches) – könnt ihr solche rein dogmatischen Gedankenergüsse nicht endlich lassen? Es ist ja gut, wenn wir Christen Jesus als Bote Gottes ernst nehmen. Ja, er hat gezeigt, wie wir Menschen leben sollen, er ist uns auch Vorbild, wie euch Christen, er hat Gott verstanden und uns gezeigt, was Gott will. Das alles teilen wir Moslems doch mit euch. Darin unterscheiden wir uns keineswegs voneinander.

 

Aber dass ihr Christen jetzt diesen Jesus vergöttlicht habt, das geht doch einen Schritt zu weit.

 

Manchmal entdecke ich ähnliche Interpretationen des Christus-Verständnisses auch im Predigtgespräch wieder: Jesus ist uns lieb als Mensch, was er getan hat ist uns Vorbild, was er als Bote von Gott uns erzählt hat, das zeigt uns auch wer und wie Gott ist.

 

Kirchliche Glaubensaussagen wie Menschwerdung Gottes, Dreieinigkeit, Sohn Gottes und andere werden eher als spätere kirchliche Interpretationen oder nachbiblische und rein dogmatische Gedankenakrobatik in den Bereich der unwesentlichen und entbehrlichen Zutaten des christlichen Glaubens verschoben. Wichtig ist ja nur, dass wir so handeln wie (der verstorbene) Jesus das vorgelebt hat. Wir sind ja keine Religion von Sätzen und Dogmen.

 

„Sohnschaft“, „göttliche Person“, „dem Vater wesensgleicher Sohn“ oder wie immer das zum Ausdruck gebracht wird, ist eines der manchmal unglaubwürdigen oder zumindest schwer fassbaren Aussagen unseres christlichen Glaubens. Wie kann der Schöpfer zugleich Mensch sein? Wie kann Gott, der nicht Raum und Zeit unterworfene, plötzlich doch in Israel vor 2000 Jahren Mensch geworden sein und gelebt haben?

 

Angesichts dieser scheinbar rein gedanklichen Geistesanstrengungen werden solche Äußerungen dann gern als „theologische“ - und meint damit: im praktischen Leben unwichtige – Le(e)hren zur Seite geschoben.

 

Ich versuche daher einmal in den nächsten Zeilen etwas überzeichnet ein Jesus-Verständnis darzustellen, das vielleicht doch noch sehr in unseren Gedanken und auch Worten zu finden ist …

 

Wenn also nur der praktische und einfach fassbare Aspekt wichtig ist und theologische Aussagen wie die oben nur Leeraussagen sind: Dann ist auch nur wichtig, dass man christlich handelt, genau so handelt, wie Jesus gehandelt hat. Auf die Botschaft Jesu kommt es an, das was er gesagt oder vermittelt hat. Ob jemand jetzt an die Menschwerdung glaubt oder nicht ist für das Christ-Sein und das christliche Leben irrelevant, oder anders formuliert: ist Gott mehr oder weniger egal.

 

Wichtig ist nur, ihm nachzufolgen. Damit ist gemeint, dass wir das tun sollen, was er getan hat und sein Wirken Vorbild für unser Wirken ist. Meist wird darunter ein moralischer Appell verstanden, richtig und gut zu handeln. Und manchmal werden Ausschnitte von Jesus-Erzählungen und sein Handeln in der Bibel dann dazu herangezogen, das eigene Gewissensurteil zu untermauern. Jesus hat sich ja auch um die Kranken gekümmert, also müssen wir das auch. Jesus hat für Menschen Verständnis gezeigt, die niemand verstanden hat. Also ist auch das unsere Aufgabe. „Was hast du getan, wem hast du gedient um meinetwillen?“ lautet eine oft und gern von uns gesungene Liedstrophe.

 

Das Einzigartige der Geburt Jesu besteht somit darin, dass endlich ein perfekter Mensch diese Erde betreten hat. Einer der das getan hat, was wir schon längst hätten tun sollen. Dieser ersetzt jetzt endlich das (harte, böse) Gesetz aus dem Alten Testament. Ein Mensch, der unseren moralischen Ideal-Vorstellungen endlich gerecht wird. (Schon Ludwig Feuerbach hat übrigens diesen Mechanismus des christlichen Moralismus entlarvt. Für ihn ist das Christentum und der christliche Gott reine Projektion der Christen, reines Vorstellungsgebilde und daher real nicht existent: „Der [ideale] Mensch ist [eigentlich] der Gott der Menschen“. Das heißt: Die Projektion und Idealisierung des Menschen schafft die Vorstellung des Göttlichen.)

 

Wenn also die Geburt des von Gott gesandten perfekten Mensch als Vorbild in Reden und Handeln nicht das Wesentliche an Weihnachten ist, was dann?

 

Erstaunlich ist, dass wenn biblische Texte auf den historischen Gehalt hin untersucht werden, oft gar nicht genau abgegrenzt werden kann, was Jesus tatsächlich getan hat und was bereits interpretierende Erzählung ist. Welche Wunder hat er jetzt gewirkt? Welche Gleichnisse tatsächlich selber erzählt? Welche Worte aus den Evangelien sind tatsächlich seine eigenen und welche haben ihm Evangelisten (im Sinne seines Wesens) in den Mund gelegt? Selbst die Bergpredigt hat er (aller Wahrscheinlichkeit nach) so nie selbst gehalten. Ja wahrscheinlich nicht einmal der in der Bibel angegebene Geburtsort Betlehem ist echt. Der Standort der Krippe müsste vielleicht eher nach Nazaret verlegt werden, falls es so etwas wie die Krippe mit Hirten (im Lk-Ev) oder Weisen aus dem Osten (im Mt-Ev) überhaupt tatsächlich gab (beides fehlt im Mk-Ev).

 

Wenn die Evangelisten scheinbar so freizügig mit der Schilderung der tatsächlichen Abläufe des Handelns und Redens Jesu umgingen, die historische Realität eher in den Hintergrund tritt: Was war es dann, was ihnen so wichtig erschien, dass sie so über Jesus schrieben? Nicht was Jesus gesagt und getan hat steht im Zentrum der Botschaft, sondern wer Jesus war. Die Tatsachen stehen im Dienst der Schilderung der Beschreibung und Erzählung einer Person. Das Evangelium („Frohe Botschaft“) ist nicht die Botschaft, die Jesus gebracht hat, sondern er selbst ist das Evangelium. Es geht viel mehr um die Frage, wer dieser Mensch ist, und welche Bedeutung ihm von Gott her zukommt. In welcher Beziehung steht Jesus von Nazareth zu unserem Gott? Und welche Bedeutung hat dieser Mensch (und nicht nur das, was er getan hat) für uns „Erdlinge“? Das Geheimnis von Weihnachten beginnt wie unser Christsein vor allem Tun.

 

Die biblischen Schriften verwenden dafür einen Begriff aus der Welt der menschlichen Beziehungen. Alle Evangelien beginnen daher wie in der Ouverture eines Kunst-werks mit dem gleichen Thema, das wie ein Programmführer am Anfang steht und lassen eine Stimme bei der Taufe am Jordan sprechen: „Du bist mein geliebter Sohn, ...“ (am Beispiel von Mk 1). Vor allem Handeln geht es hier um Beziehung. Weihnachten und die Geburt Jesu Christi haben etwas mit Beziehung zu tun: mit der Beziehung eines Menschen zu seinem Vater.

 

Wenn wir grundlegende Beziehungen wie Eltern-Sein, Partnerschaften, Kind-Sein oder Freundschaften unseres Lebens betrachten, so weisen uns diese immer wieder darauf hin, worauf es in der Liebe ankommt. Selbstverständlich gibt es auch genug Anhaltspunkte in den biblischen Schriften, wo es auf richtiges oder gutes Handeln ankommt. Aber das was Beziehung eigentlich ausmacht, ist nicht auf moralisch gutes Handeln beschränkt. Das, was ich eigentlich von mir nahestehenden Menschen erhoffe, ist doch eine Beziehung, die den ganzen Reichtum umfasst, den das menschliche Leben anbietet: sprechen, begegnen, berühren, danken, miteinander gehen, gemeinsam Schönes erleben bis hin zum miteinander Diskutieren, sich auseinandersetzen und versöhnen.

 

„Sohn“ ist nicht nur Titel oder Status-Begriff für einen inthronisierten König. Sohn ist im Zusammenhang mit Jesus selbst ein Wort, das im Zusammenhang mit seiner Beziehung zum Vater zu sehen ist. ER ist eins mit seinem Vater, ER lebt diese Verbindung ganz.

 

Auch in den Evangelien wird diese Beziehung mehrfach auf den Punkt gebracht: „Niemand kennt den Vater nur der Sohn“ (Mt 11,27) und findet Erfüllung in der Formu-lierung „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30).

 

Beim Glauben an den Jesus Christus als Sohn Gottes handelt es sich also nicht um theologische Spitzfindigkeiten, sondern es geht um ein Zentrum unseres christlichen Glaubens an Gott: Den Glauben daran, dass diese Einheit wirklich geworden ist in Jesus Christus. Gott ist Mensch geworden. Wenn uns diese Sprache auch nicht immer vertraut ist, so liegen uns andere Überzeugungen vielleicht nicht so fern, zeigen aber ein Stück weit in die gleiche Richtung: Die biblische Schöpfungsgeschichte erzählt davon: Wir sind von IHM her geschaffen. Du selbst bist Ebenbild Gottes; damit auch Gegenüber, Gesprächspartner, Partner und Mitwirkender im Erschaffen und Wirken auf dieser Welt. In dir selbst wird Gott sichtbar, wir sind von Anfang an Kinder Gottes. Auch ist es im christlichen Selbstverständnis nicht einfach so, dass wir hier sind und Gott dort oben der ganz andere. Schon aus dem Schöpfungsverständnis des Alten Testaments ist doch nichts da und gibt es nichts, was ohne Gott auch nur denkbar wäre. ER ist in allem gegenwärtig, weil alles aus ihm kommt. Wenn wir etwas von Gott erfahren wollen, so müssen und dürfen wir nicht immer den Blick auf das „Ganz-Andere“ oder „Noch-Nicht-Verständliche“ richten. Es ist vielmehr Ausdruck unserer Trennung von Gott, dass wir diesen Zusammenhang nicht einmal mehr erkennen können. Der Evangelist Johannes formuliert das so: „Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. … Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ (Joh 1)

 

Ein wenig von der Schöpfung Gottes her gedacht ist es auch eine gar nicht so undenkbare und absurde Vorstellung, dass Gott in einem Menschen seine Welt betritt.

 

Das Gottes Sohn-Sein von Jesus Christus wird als Einssein bezeichnet. Unsere Kindschaft ist dagegen vom Getrenntsein geprägt. Der Zweifel ist meist stärker als der Glaube. Der eigene Leib ist uns meist näher als das ewige Leben. Wir sorgen uns mehr um das Tägliche (Brot) und was uns unserer Meinung nach zusteht als um die „Schätze im Himmel“. Und oft ist es wirklich schwer, Gott hier und jetzt noch ins eigene Leben aufzunehmen. „Dein Wille geschehe“ ist eben ein Bittgebet und keine alles umfassende Realität. Blindheit, Taubheit und Lähmung sind gleichzeitig symbolische Bilder für unsere eigene Befindlichkeit, wenn es um unsere Beziehung zu Gott geht. Aber wenn wir uns schon so schwer damit tun zu Gott zu kommen, so haben wir in Weihnachten eine gute Nachricht: Gott ist uns entgegengekommen. So weit entgegengekommen wie nur möglich. An einem Ort in unserer (vergangenen und vergehenden) Zeit von Angesicht zu Angesicht ist er Mensch geworden. Mit der Absicht die Versöhnung: Was getrennt ist zu verbinden und was uns trennt wieder zusammen zu bringen. Die egozentrische Unabhängigkeit von Gott (wie sie im Sündenfall, der Sintflut und dem Turmbau zu Babel zum Ausdruck kommen) ist zu überwinden. Gott selbst hat Mensch und Gott wieder zusammen gebracht.

 

Für mein „Gottesbild“ bedeutet das: Gott sehnt sich danach, dass ich mit ihm in Beziehung komme. Wo ein Mensch so sehr diese Beziehung gelebt hat, dass am Ende von „eins sein“ die Rede ist. Noch mehr eins sein, als im Zusammenhang mit der Partnerschaft unter Menschen gesprochen werden kann. In einer gelebten Beziehung mit allen Facetten die ich mir auch in meinen menschlichen Beziehungen ersehene: mit dir sprechen, dir begegnen, dich berühren, dir danken, miteinander gehen, gemeinsam Schönes erleben und Leid tragen, bis hin zu miteinander diskutieren, sich mit dir auseinandersetzen und versöhnen. Selbstverständlich will ich auch gut handeln, aber trotzdem nicht „anonymer“ Christ bleiben, sondern die Beziehung mit dir wieder aufnehmen und leben. Bis du mich zu dir holst und wir nach meinem Leben eines Tages vielleicht eins sind.

 

Ich glaube, ich werde mich doch lieber nicht für das Christkindl 2009 vom Rathausplatz bewerben. Lieber versuche ich weiter in meinem Leben nach dieser Kindschaft zu suchen und werde so ein „Christkindl“.

Michael Päuerl

 

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