[40] Steckkontakt, Ausgabe April 2009
Wer war Pontius Pilatus?
Römische Namen bestanden meist aus drei Teilen: dem Vornamen (praenomen), dem
Familiennamen (nomen gentile) und einem Beinamen (cognomen). Der Vorname ist uns
unbekannt, der Familienname zeigt, dass er
aus dem Geschlecht der Pontier stammte, der Beiname Pilatus könnte von „pilum“
(= Speer) herzuleiten sein, sodass der Beiname „Speerträger“ bedeuten würde.
Pilatus’ Geburtsjahr und Geburtsort sind unbekannt. Da der
Familienname Pontius bei den
Samniten
vorkommt, wurde von einigen Wissenschaftlern eine Herkunft der Familie aus
Samnium (südliche Apenninen) angenommen. Im Jahre 26 wurde Pilatus auf
Veranlassung von
Lucius Aelius Seianus,
einem Vertrauten des Kaisers
Tiberius,
zum Präfekten der
römischen Provinz
Judäa
ernannt. Pilatus hatte offenbar eine erfolgreiche Militärkarriere hinter sich
und war ein Günstling des Seianus, Seianus der Polizeichef des Kaisers und ein
Judenhasser. Pilatus war der fünfte Präfekt dieser Provinz und folgte Valerius
Gratus (Statthalter 15–26 n. Chr.) nach. Die Ernennung zeigt, dass Pilatus dem
Ritterstand (equester
ordo) angehörte.
Ein römischer Präfekt wurde üblicherweise durch den Kaiser
bestimmt. Während der Regierungszeit des Tiberius, faktisch ab dem Jahre 21 n.
Chr., besaß der Kommandeur der
Prätorianergarde,
Seianus, bei Tiberius so großen Einfluss, dass er auch bei der Ernennung der
Präfekten Einfluss nehmen konnte. Die Ernennung des Pontius Pilatus fällt genau
in den Zeitraum des Rückzugs des Tiberius nach
Capri.
Vermutungen, Pilatus sei durch den
judenfeindlichen
Seianus gezielt eingesetzt worden, um gegen die aufständischen Juden mit Gewalt
vorzugehen, sind nicht belegbar. Oft wird ungeschicktes Verhalten des Pilatus
während seiner Amtszeit von Historikern als Beleg für seine antijüdische Haltung
angesehen. Es sind daher vor allem auch jüdische Quellen (vor allem
Flavius Josephus),
von denen die harte, brutale Amtsführung des Pilatus betont wird. Unabhängig von
dieser Diskussion ist es bemerkenswert, dass Pilatus die Provinz Judäa immerhin
zehn Jahre lang verwalten konnte, was für ein großes Durchsetzungsvermögen in
einer der unruhigsten Provinzen des Reiches spricht.
31 n. Chr. fiel
Seianus in Ungnade, Pilatus musste eine politische Kehrtwendung machen, um nicht
auch mit Seianus zu fallen. So wurde Pilatus erpressbar. (Joh
19,12f: Daraufhin wollte Pilatus ihn freilassen, aber die Juden schrien: Wenn du
ihn freilässt, bist du kein Freund des Kaisers; jeder, der sich als König
ausgibt, lehnt sich gegen den Kaiser auf. Auf diese Worte hin ließ Pilatus Jesus
herausführen, und er setzte sich auf den Richterstuhl an dem Platz, der
Lithostrotos, auf hebräisch Gabbata, heißt.)
Ein Ereignis im Sommer des Jahres 36 führte wahrscheinlich
zu seiner Absetzung. Pilatus ließ mit brutaler Gewalt den Zug von Leuten aus
Samaria
auf den heiligen Berg
Garizim
unterbinden. Er wurde daraufhin durch den
Legaten
Syriens, Vitellius, abberufen, um sich vor Tiberius zu rechtfertigen. Zu den
Vorwürfen, die man ihm machte, gehörte unter anderem auch, er habe sich am
Tempelschatz bereichert und auf Kosten der Staatskasse eine Wasserleitung in
sein Haus legen lassen.
Philo von Alexandria
zählt folgende Anklagepunkte auf: Bestechungen, Beleidigungen, Raub,
Gewalttätigkeit, Zügellosigkeit, wiederholte Hinrichtungen ohne juristisches
Verfahren, konstante Ausübung von extrem leidvoller Grausamkeit. Vitellius
setzte stattdessen
Marcellus
ein.
Obwohl es relativ häufig, vor allem in den Legenden um
Pilatus, behauptet wird, gibt es keinerlei Hinweise dafür, dass er sich jemals
vor Tiberius für das Urteil über Jesus rechtfertigen musste. Als Pilatus nach
seiner Abberufung in Rom eintraf, war Tiberius bereits tot, sodass unbekannt
ist, ob es zu einem Verfahren um ihn kam und was weiter mit ihm geschah. Der
Hinweis des christlichen Chronisten
Eusebius von Caesarea,
Pilatus habe im Jahr 39 unter
Caligula
erzwungenen Selbstmord begangen, ist historisch ebenso unsicher wie die Legenden
um seine Verbannung nach
Vienne
in Südfrankreich. Es gibt zudem sehr unterschiedliche Angaben zum Jahr seines
Todes, die eher einen Legendenhintergrund haben, als dass sie historische Fakten
darstellen.
Pontius Pilatus erhält seine Bekanntheit vor allem durch
die Erzählungen des Neuen Testaments der Bibel, nach denen er
Jesus von Nazaret
zum Tod durch das Kreuz verurteilte und die Hinrichtung durchführen ließ. Außer
in den Passionsgeschichten wird Pilatus im Neuen Testament nur noch einmal im
Lukasevangelium
(Lk
13,1-2) erwähnt, das über die Ermordung
galiläischer
Pilger auf seinen Befehl berichtet.
Als wichtigste Quelle außerhalb des Neuen Testaments gilt
eine Stelle in den
Annalen
(15, 44) des römischen Geschichtsschreibers
Tacitus,
an der er von der Christenverfolgung unter Nero nach dem Brand Roms berichtet
und dabei Pilatus beiläufig erwähnt: Auctor nominis eius Christus Tiberio
imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat. („Der
Urheber jenes Namens, Christus, wurde während der Regierung des Tiberius durch
den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet.“) Die Authentizität dieses Berichts
ist allerdings umstritten.
Darüber hinaus finden sich einigermaßen gesicherte
historische Aussagen über Pilatus vor allem bei
Flavius Josephus
in seinen Werken "De bello Judaico"
und in den "Antiquitates".
Auch
Philo von Alexandria
berichtet über ihn.
Auf Grund der schlechten
Quellenlage wurde gelegentlich sogar angenommen, dass Pontius Pilatus keine
historische Person gewesen sei. Seit dem Fund einer Inschrift im Jahre 1961 in
Caesarea,
der ehemaligen Residenzstadt des Pilatus, gilt seine Existenz jedoch als
gesichert. Die Inschrift wird datiert auf die Jahre 26–37 und wurde von einer
Gruppe unter Leitung von Antonio Frova ausgegraben. Obwohl lediglich 31 teils
fragmentarische Buchstaben zu erkennen sind, bestätigen sie doch die
Statthalterschaft des Pilatus in Judäa.
Die Inschrift:
[...S TIBERIEVM ...VS PILATVS ...VS IVD...]
Nach Meinung der meisten Wissenschaftler lautet der vollständige Text:
DIS AVGVSTIS TIBERIEVM
PONTIVS PILATVS PRAEFECTVS IVDAEAE FECIT ET DEDICAVIT. („Pontius Pilatus,
Präfekt von Judäa, erbaute und weihte das Tiberieum den seligen Göttern“)
Mit Tiberieum ist der Leuchtturm von Caesarea gemeint, der
von Pontius Pilatus erneuert wurde. Mit dieser Namensgebung sollte auch seine
neue Treue zum Kaiser bewiesen werden. Der Fund belegt im Übrigen auch, dass die
korrekte Bezeichnung für das von Pilatus ausgeübte Amt Präfekt war und nicht,
wie bei den Statthaltern von Judäa ab der Mitte des 1. Jahrhunderts üblich,
Prokurator, eine Bezeichnung, wie sie auch Tacitus verwendete. Der
„Pilatusstein“ mit der Inschrift befindet sich im
Israel-Museum
in Jerusalem.
Der Prozess des Jesus von Nazaret fiel in den
Aufgabenbereich des römischen Statthalters, sofern die Anklage auf Hochverrat
und Anstiftung zum Aufruhr lautete. Die Darstellung des Prozesses Jesu in den
Evangelien
verfolgt jedoch auch (wahrscheinlich sogar vor allem) religiöse Interessen und
ist daher aus der Sicht vieler Wissenschaftler als historische Quelle nur mit
Einschränkungen geeignet. Entsprechend wird Pilatus aus christlicher, jüdischer
und wissenschaftlicher Sicht jeweils unterschiedlich bewertet. Im Neuen
Testament bleibt er zwar formal für die Kreuzigung Jesu verantwortlich, jedoch
wird dem Volk und den jüdischen Autoritäten eine größere Sünde für den Tod Jesu
zugesprochen (Joh 18,33-35; 19,11), die seinen Tod am Kreuz (crucifige) und die
Freilassung des Barabbas fordern. Pilatus weiß, dass dieser Angeklagte nicht
schuldig ist; er sucht nach einem Weg, ihn freizubekommen. Aber dies gelingt ihm
nicht, trotz seiner äußerlichen Machtfülle. Seine eigene Position und die
politische Ruhe sind ihm am Ende wichtiger als das Recht. Pilatus wendet sich
also ab und wäscht nach einem Motiv des
Matthäusevangeliums
demonstrativ seine Hände in Unschuld (Mt
27,24). Nach dem
Johannesevangelium
wird er von Jesus mit dem Thema „Wahrheit“ konfrontiert (Joh
18,37). Pilatus fragt daraufhin schlicht „Was ist Wahrheit?“ (Joh
18,38).
Carl Schmitt
zufolge lässt sich die Haltung des Pilatus je nach Sichtweise entweder als
Ausdruck eines „müden
Skeptizismus“,
als
Agnostizismus,
als „Ausdruck überlegener
Toleranz“
oder als früher Fall einer
weltanschaulichen Neutralität
von Staat und Verwaltung interpretieren. Für
das Johannesevangelium scheitert Pilatus jedenfalls letztlich an der rechten
Erkenntnis Jesu.
Der Name „Pontius Pilatus“ wird auch im christlichen
apostolischen Glaubensbekenntnis
genannt. Die Zeile lautet in der deutschen Übersetzung: „[…] geboren von der
Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus […]“
(… sub Pontio Pilato passus).
Trotz dieser Hervorhebung im Glaubensbekenntnis ist die
Beurteilung des Pilatus und seines Urteilsspruches in den verschiedenen
christlichen Kirchen sehr unterschiedlich. War er einfach ein römischer Beamter,
der für Recht und Ordnung zu sorgen hatte? Sollten die Evangelien die Römer
entlasten und die Juden belasten? In den ersten Jahrhunderten nach Christus galt
Pilatus als Heiliger. Schon
Tertullian
schrieb im 2. Jahrhundert, er sei von seiner Überzeugung her ein Christ gewesen
(iam pro sua consciencia Christianus). In der
koptischen Kirche
wird er als
Märtyrer
verehrt (Namenstag 25. Juni), wogegen er in der abendländischen, aber auch der
orthodoxen Kirche
etwa seit der Zeit Kaiser
Konstantins
häufig als Gottesmörder (deicida) bezeichnet und bald zum Beispiel eines bösen
Menschen schlechthin wurde, sodass ihn
Abraham a Sancta Clara
im 17. Jahrhundert als „Erzschelm“ bezeichnen konnte.
Diese
Zwiespältigkeit resultiert daher, dass das Pilatus-Urteil für Christen nicht
einfach zu bewerten ist: Ist es ungerecht, weil es zum Kreuzestod des
Messias
geführt hat? Oder erfüllte es den Heilsplan Gottes, womit Pilatus das Werkzeug
Gottes wäre? Hier scheint beispielhaft das theologisch-philosophische Problem
menschlicher Verantwortung und der Willensfreiheit gegenüber göttlicher
Prädestination
auf und auch das Problem, auf welcher ethischen Grundlage Pilatus’ Verhalten
überhaupt zu bewerten ist. In diesem Zusammenhang ist auch die in der Bibel
beschriebene versuchte Einflussnahme der Frau des Pilatus zu sehen (Mt
27,19). Obwohl diese im Neuen Testament keinen Namen hat, bürgerte sich bald für
sie der Name Claudia Procula (manchmal auch: Procla) ein. Gelegentlich wird
vermutet, sie sei identisch mit einer Claudia, die im 2.
Timotheus-Brief
(2Tim 4,21) erwähnt wird. Ihr Eintreten für Jesus gilt den einen als Zeichen
dafür, dass sie eine heimliche Christin war und deshalb Jesus retten wollte, den
anderen als der Versuch des Teufels, die Erlösung zu verhindern. Die Frau des
Pontius Pilatus wird in der
orthodoxen Kirche
als Heilige verehrt; Namenstag ist der
27. Oktober.
Noch im 17. Jahrhundert wurde in theologischen Kreisen
intensiv über die Verantwortung des Pilatus diskutiert. Als der protestantische
Theologe
Johann Steller
aus Jena in einem Buch "Pilatus defensus"
(1676) die These vertrat, Pilatus habe unter juristischen Gesichtspunkten
korrekt gehandelt, strengten seine Kollegen einen förmlichen kirchenrechtlichen
Prozess um Pilatus an, in dem der Philosoph
Jakob Thomasius
als Ankläger und Steller als Verteidiger auftraten.
Quellen: Vortrag von DDr. Martin Stowasser, Wikipedia
Erhard Eibensteiner
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