Gustl
Vor wenigen Wochen feierte
Gustl in Weitra seinen 75. Geburtstag. Normalerweise ist so ein Ereignis in
unserer Gemeinde Anlass für ein großes Fest, insbesondere wenn es sich um
ein Urgestein handelt, dem die Gemeinde über Jahrzehnte Heimat war. Bei
Gustl war es leider anders. Als wir am Tag nach seinem Geburtstag in Weitra
anriefen und ihm gratulierten (am Geburtstag selbst gab es eine große
Familienfeier, weshalb wir erst später anriefen), teilte uns Thomas mit,
dass Gustls früherem Lebensbereich (Gemeinde, Wohngemeinschaft) sein
Geburtstag weder ein Anruf, noch eine Karte oder ein kurzer Besuch wert war.
Das will mir nicht in den Kopf, es macht mich traurig und betroffen!
Da ich doch hoffe, dass dem
einen oder anderen in der Gemeinde Gustls Leben nicht völlig gleichgültig
sein kann, möchte ich euch über seinen Lebensweg seit Lenis Tod berichten.
Wenn ich darin „wir“ schreibe, dann meine ich damit Familie Eichinger und
uns. Wie bekannt zog Gustl nach
Lenis Tod in Andis Haus nach Weigelsdorf. Dort wurde er von seiner
rumänischen Pflegerin Maria und Andis Familie betreut. Im Spätherbst haben
wir Gustl von dort einmal zu einer Gemeindemesse geholt und anschließend
wieder nach Hause gebracht. Das Erlebnis hat ihn doch mehr aufgewühlt als
erwartet, zumal er zwar in guter Absicht aber unglücklich mehrmals auf Lenis
Tod angesprochen wurde, worauf er natürlich sofort in Tränen ausbrach. Auch
Andi – noch nie ein großer Fan der Gemeinde – erkannte nach unserer Rückkehr
Gustls Gemütszustand und blockte vorerst weitere Kontakte mit Gustl ab.
Während der
Urlaubsaufenthalte seiner Pflegerin in Rumänien musste Gustl mehrmals in das
Pflegeheim der Caritas Socialis, was ihm gesundheitlich nicht gut tat. Das
bekannt vorzügliche Heim war natürlich nicht in der Lage, mit Gustl tägliche
längere Gehübungen im Garten durchzuführen. Er wurde einfach mit dem
Rollstuhl in den Garten gestellt, und nach einiger Zeit wieder auf sein
Zimmer gebracht; Gift für seine Behinderung! Lenis Bruder organisierte
während dieser Wochen liebevoll einen täglichen Besuchsdienst von Freunden
und Verwandten, und diese Besuche ließen Gustl die Stunden kurzweiliger
werden. Bei einem solchen Gartenverweil hat ihn Manfred durch Zufall
gesehen, was gleichzeitig Gelegenheit war, unsere Kontakte etwas zu
vertiefen. Nach der Erkrankung von
Andis Frau musste für Gustl eine neue Unterbringung gefunden werden. Thomas
hat es übernommen, ihn in Weitra zunächst bis in den Herbst unterzubringen.
Dort lebt er nun seit Monaten mit seiner rumänischen Pflegerin und Tante
Mizzi, wobei alle Wege, Arztbesuche und dergleichen organisiert sind. Thomas
selbst verbringt den gesamten August mit seinem Vater. Da Gustl die Stiegen
in seinem Garten nicht mehr steigen kann, wurde ein Behindertenlift
eingebaut, der Gustl problem- und gefahrlos auf seine Terrasse bringt.
Leider kann er nicht mehr schnitzen, sein räumliches Wahrnehmen dürfte
verloren gegangen sein. Deshalb blieb auch der Versuch, ihn mit Ton- und
Töpferarbeiten zu beschäftigen, ohne Erfolg. Nunmehr versucht er es mit
Malen, wir haben aber noch keine diesbezüglichen Arbeiten gesehen.
Leider verfügt niemand
seiner unmittelbaren Betreuungspersonen über ein Auto. Gustls Welt besteht
daher aus seinem Haus und dem Weg ins Gabrielental, wohin er mit dem
Rollstuhl geschoben werden kann, und wo er auch einige Schritte geht. In den
Ort kommt er kaum, da der Rollstuhl über die Bergzeile nicht geschoben
werden kann. Wir nützen daher unsere (leider auch viel zu seltenen) Besuche,
um ihn und seine Begleiter beispielsweise auf ein Mittagessen auszuführen.
Die Kommunikation mit ihm und seinen Betreuern funktioniert dabei
problemlos; vor allem, weil auch Maria große Fortschritte in der deutschen
Sprache gemacht hat, und die verbrachten Stunden vergehen wie im Flug. Gustl
nimmt wie früher an den Gesprächen teil und antwortet auf Fragen nach seinen
Möglichkeiten. Seine Zuwendungen zeigt er nach wie vor durch einzelne Worte,
durch sein reizendes Lächeln und durch den Glanz seiner Augen.
Da sich Gustl in Weitra
besonders wohl fühlt, hat Thomas alle Maßnahmen getroffen um ihn auch über
das Winterhalbjahr in Weitra zu belassen. Bedauerlicher Weise ist das
Verhältnis unter den Brüdern schwer gestört, und sie sind sich auch in der
Betreuungsfrage ihres Vaters uneins. Die wichtigste Person ist jedoch seine
Pflegerin geworden, zu der er ein fast liebevolles Verhältnis aufgebaut hat.
Sie ist unermüdlich um sein Wohlergehen bemüht, hilft ihm in allen
Lebenslagen, und wenn Gustl einschläft, hält sie vertraut seine Hand.