[45] Steckkontakt, Ausgabe April 2010
Die Hölle (engl. hell, ahd. hella, mhd. helle) bezeichnete ursprünglich das
Totenreich der germanischen Mythologie. Dort gab es einen kalten, eintönigen
Ort, das Reich der Göttin Hel. Es liegt im Gebiet Niflhel und wird durch das
Gittertor Helgrind vor lebenden Besuchern abgeschirmt. Dieses Jenseits der
Toten entspricht dem alltäglichen Aufenthaltsort nach dem Stand des Lebens,
die im Kampf Gefallenen dagegen wurden in Odins Saal Valholl zu höchsten
Freuden geleitet (bei den Kelten Tir Nan Og).
Ähnliche Vorstellungen gab es bei sehr vielen Völkern. Die alten Griechen
hatten ihren Hades, ein kaltes, dunkles Reich, das Reich der Schatten. Als
Schatten vegetierten die Toten ohne Bewusstsein dahin. Tapfere Krieger und
Helden wurden in die Elysischen Felder entrückt, die einem „Schlaraffenland“
glichen. Der Tartaros war der tiefste Teil des Hades, ein reines
Schreckensreich, umgeben von einem großen Feuerfluss, von dort gab es keine
Wiederkehr.
Die Römer bezeichneten ihre Unterwelt Orkus. Ihre Vorstellungen ähnelten
sehr den griechischen.
Gilgamesch, der Held der Urzeit, machte sich nach dem Tod seines Freundes
Enkidu Gedanken über den Tod und wollte zum Urvater der Menschheit,
Utnapisti. Auf der Reise dorthin gelangte er zum Fährmann Ursanabi, der ihn
über das „Wasser des Todes“ zur „Insel der Seligen“ brachte. Auf dem Weg
dorthin durchquerte er eine grauenvolle Schattenwelt des Todes.
Im Judentum gab es Vorstellungen des Scheol, der nur in apokryphen Schriften
beschrieben wird (zB. Henochbuch). Dort wird der Aufenthaltsort der
Verstorbenen in vier Hohlräumen beschrieben, von denen drei dunkel für die
Sünder und einer hell für die Gerechten sind. „Entsprechend der Taten der
Bösen werden sie in lodernden Flammen brennen, schlimmer als Feuer ... und
niemand wird ihnen helfen.“ Auch der Geschichtsschreiber Flavius Josephus
schrieb in seiner Schilderung des Totenreiches vom Schoß Abrahams und von
der großen Kluft zwischen den Räumen. Da fällt einem doch gleich die
Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus ein (Lk 16,19-31).
Im Jüdischen gab
es aber noch einen Ort „des Bösen“ oder „der Bösen“: Gehenna. Auch hier
wurden die bösen Menschen mit Feuer gequält. Gehenna ist eine gräzisierte
Ortsbezeichnung und meint das „Tal von Hinnom (Ge-Hinnom)“, südöstlich der
Stadt Jerusalem. Zu alttestamentlicher Zeit wurden hier bei kultischen
Handlungen dem Ammoniter-Gott Moloch Kinder geopfert. Auch dem phönizischen
Gott Baal, dem Spender der Fruchtbarkeit, wurde hier geopfert,
Tempelprostitution gehörte zum Isis-Kult (Astarte-Kult). Immer wieder
heirateten jüdische Könige (zB. Salomon, Rehabeam, Abija) ausländische
Prinzessinnen, die brachten ihre Priester mit und ließen im Ge-Hinnom Tempel
bauen
(1Kön, 2Kön).
Nach jeder Religionsreform (zB. Asa, Hiskija, Joschija) wurden die Tempel
der fremden Götter zerstört und das Tal wurde zur Müllhalde, um eine
Wiedereinführung der Bräuche zu unterbinden. Hier herrschte Baal-Zebub (=
Belzebub = Mistgott). Der Müll wurde meist entzündet, um Platz zu sparen,
oft gab es auch Selbstentzündungen. Hier gab es das „ewige Feuer“ der Bibel.
Hier wurde die Spreu entzündet, sie landete im „Feuerofen“ (Mt 13,42). Der
Prophet Jeremia nannte dieses Tal „Schlucht der Umbringung“ (Jer 7,31f).
Mit dem Ausdruck „Hölle“ wurden sowohl Scheol als auch Gehenna übersetzt.
Martin Luther übersetzte beispielsweise Scheol fünfmal mit „Hölle“, zweimal
mit „Toten“, zweimal mit „Totenwelt“. Gehenna übersetzte Luther achtmal mit
„Hölle“ und viermal mit „höllisch“. Neuere Bibelübersetzungen übersetzen
Scheol mit „Totenwelt“, behalten aber „Hölle“ als Übersetzung von Gehenna
bei, obwohl „Hölle“ eher in der Bedeutung zu Scheol passt.
In unserem Glaubensbekenntnis beten wir: „Ich glaube ... an Jesus Christus,
... hinabgestiegen in das Reich des Todes (früher: niedergefahren zur
Hölle), am dritten Tag wieder auferstanden von den Toten, ...“. Hier
begegnen wir einer alten Vorstellung aus der apokryphen Abrahamslegende,
dass der Erzvater Abraham in den Scheol hinabsteigen und die Seelen der
Ungerechten zu sich holen dürfe, wenn sie ihre Sünden gebüßt hätten.
In der
christlichen Vorstellung hat das Jesus in den drei Tagen zwischen Tod und
Auferstehung getan (1Pet 3,18f).
„Hölle“ ist heute die Bezeichnung für die in vielen Religionen herrschende
eschatologische Vorstellung von der jenseitigen Unterwelt als Ort oder
Zustand der Qual und Aufenthaltsort der Dämonen. Dorthin werden Unbekehrte
oder Übeltäter nach ihrem Tode gelangen.
Im Christentum wird, basierend auf der Lehre des Judentums, oftmals die
Existenz einer Hölle gelehrt. Dabei gibt es viele unterschiedliche
Vorstellungen, was damit gemeint sei. Nach kirchlicher Lehrmeinung und nach
gängiger Ansicht vieler Christen gelangen die Seelen der Nicht-Christen und
der Missetäter nach dem Jüngsten Gericht an diesen Ort und erleiden dort die
ewige Verdammung. Stark geprägt wurde vor allem die mittelalterliche
Vorstellung der „Hölle“ als Ort der ewigen Strafen durch die apokryphe
Offenbarung des Petrus, die solche Strafen detailliert beschreibt und den
Rachegedanken stark betont.
Origines (185-254) lehrte die Rückkehr aller Geschöpfe zu Gott. Diese Lehre
wurde 533 (5. ökumenisches Konzil in Konstantinopel) verurteilt. Viele
Christen wenden sich bis heute gegen die Lehre von der Ewigkeit der
Höllenstrafen oder lehnen die Hölle gänzlich ab, entgegen der offiziellen
Lehre der Kirche. Mit ihrem Gottesbild, das die Barmherzigkeit und Güte
Gottes betont, lässt sich die Lehre von der Hölle ihrer Meinung nach nicht
vereinbaren.
Das Christentum sieht sich als Erlösungsreligion, nach welcher die der Sünde
verfallenen Menschen durch den Sühnetod und die Auferstehung Jesu Christi
gerettet werden (Röm 1,16f, 1Kor 15, 1Joh 1,7-9).
apokryph (griech.) = verborgen: Texte, die im Entstehungsprozess der Bibel
nicht in den Kanon aufgenommen wurden
Eschatologie (griech.) = die „Lehre vom Letzten“, die „Lehre vom Ende“
Erhard Eibensteiner
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