[50] Ist JHWH ein Krieger?
Schon oft hörte ich in
Gesprächen: „Das Alte Testament ist so blutrünstig und gewalttätig. Am
besten, man liest es nicht.“ Am bekanntesten ist die Geschichte des Auszugs
aus Ägypten.
Ex 12,29f:
Es war Mitternacht, als der Herr
alle Erstgeborenen in Ägypten erschlug, vom Erstgeborenen des Pharao, der
auf dem Thron saß, bis zum Erstgeborenen des Gefangenen im Kerker, und jede
Erstgeburt beim Vieh. Da standen der Pharao, alle seine Diener und alle
Ägypter noch in der Nacht auf, und großes Wehgeschrei erhob sich bei den
Ägyptern; denn es gab kein Haus, in dem nicht ein Toter war.
Oder nach dem Durchzug durchs
Schilfmeer das Lied des Moses:
Ex 15,1ff:
Damals sang Mose mit den
Israeliten dem Herrn dieses Lied; sie sagten: Ich singe dem Herrn ein Lied,
denn er ist hoch und erhaben. Rosse und Wagen warf er ins Meer. Meine Stärke
und mein Lied ist der Herr, er ist für mich zum Retter geworden. Er ist mein
Gott, ihn will ich preisen; den Gott meines Vaters will ich rühmen.
Der Herr
ist ein Krieger, Jahwe ist sein Name.
Ebenso der „Tanz der Miriam“:
Ex 15,20f:
Die Prophetin Mirjam, die
Schwester Aarons, nahm die Pauke in die Hand, und alle Frauen zogen mit
Paukenschlag und Tanz hinter ihr her. Mirjam sang ihnen vor: Singt dem Herrn
ein Lied, denn er ist hoch und erhaben! Rosse und Wagen warf er ins Meer.
Beim Pesachfest wird der Freude
über die Befreiung aus dem ägyptischen Joch Ausdruck gegeben. Dennoch: Die
Freude ist nicht ungetrübt wegen des Todes der Ägypter. Rettung durch den
Tod anderer? Beim Festgebet wird dafür um Verzeihung gebeten. Auch das
„Hallel“ (Ps 113-118; 136) wird nicht vollständig gesungen.
Heute im Christentum haben wir
diesbezüglich ein Problembewusstsein. Aber auch das Neue Testament ist nicht
gewaltlos (Offb, Kreuzestod Jesu).
Versuchen wir einen Zugang. Die
Kriegführung im Alten Orient war ungeheuer grausam (wie auch heute). In der
Entstehungszeit vieler alttestamentlichen Texte trommelte die assyrische
Kriegspropaganda. So machte das israelitische Volk seine Erfahrungen in der
„Alltäglichkeit des Krieges“. Die Kriege wurden religiös begründet (nur
damals?) und mit Hilfe der Kriegsgötter geführt. Das Gottesbild reflektiert
somit gesellschaftliche Wirklichkeiten.
Die Bedrohung wurde militärisch
(durch feindliche Völker) und ideologisch (Religion und Kultur siegreicher
Völker) erlebt. Die ideologische Gegenreaktion des unterlegenen israelischen
Volkes war die Zuschreibung der Eigenschaften der siegreichen Götter an den
eigenen Gott JHWH. Israel in der Position der Unterdrückten in assyrischer
und babylonischer Zeit glorifizierte so die eigene Vergangenheit, um die
eigenen Leute bei der Stange zu halten.
Das Alte Testament benennt die
Gewalt, benennt Täter und Opfer und verschleiert nichts. Das ist der erste
Schritt zur Überwindung der Gewalt.
Im Alten Testament wird aber
auch diese Ebene überschritten. So gibt es keine „Gotteskriege“.
Ex 17,8-13: Als Amalek kam und
in Refidim den Kampf mit Israel suchte, sagte Mose zu Josua: Wähl uns Männer
aus, und zieh in den Kampf gegen Amalek! Ich selbst werde mich morgen auf
den Gipfel des Hügels stellen und den Gottesstab mitnehmen. Josua tat, was
ihm Mose aufgetragen hatte, und kämpfte gegen Amalek, während Mose, Aaron
und Hur auf den Gipfel des Hügels stiegen. Solange Mose seine Hand erhoben
hielt, war Israel stärker; sooft er aber die Hand sinken ließ, war Amalek
stärker. Als dem Mose die Hände schwer wurden, holten sie einen
Steinbrocken, schoben ihn unter Mose, und er setzte sich darauf. Aaron und
Hur stützten seine Arme, der eine rechts, der andere links, so dass seine
Hände erhoben blieben, bis die Sonne unterging. So besiegte Josua mit
scharfem Schwert Amalek und sein Heer.
Dieses frühe Beispiel zeigt, wie
Israel kämpfen soll: im Vertrauen auf Gott. Es kommt nicht auf die
menschliche Stärke, Kriegsgerät, Waffen oder Strategie an. Im
Midianiterkrieg (Ri 7) siegt Gott, nicht der Mensch. Die Eroberung Jerichos
(Jos 6) geschieht in einer „liturgischen Prozession“. Die
„Vernichtungsweihe“ (Dtn 7) galt begrenzt zur Zeit der Landnahme
ausschließlich an diesen Völkern, nicht zur Zeit der Niederschrift, als es
diese Völker nicht mehr gab. Das Vertrauen auf Gott zielt auf die
Überwindung des Krieges.
Bibel ist also „Gotteswort im
Menschenwort“. Die gesellschaftliche Realität bestimmt das Gottesbild. Die
Menschen können nur in der ihnen zur Verfügung stehenden Sprache von Gott
reden.
Wie geht die Entwicklung weiter?
Auch der Monotheismus
beeinflusste das Verhältnis zur Gewalt. Zunächst gab es mehr Gewalt wegen
der Abgrenzung von anderen (z.B.
Elija).
Im Exil wandelte sich das
Verständnis vom Monotheismus: JHWH bekam universelle Bedeutung. Er wurde zum
Gott des Universums, zum Gott für alle Völker. Wenn es nur einen Gott gibt,
dann ist kein Kampf (gegen andere Völker und ihre Götter) mehr nötig.
Dazu kommt die
geschichtliche Erfahrung des Scheiterns (Zerstörung Jerusalems und des
Tempels, Verschleppung in das babylonische Exil).
JHWH ist der Gott der Opfer und
der Machtlosen. Da landet das Gottesverständnis bei den Gottesknechttexten
im Deuterojesaja: Gott ist mit dem, der scheitert und letztendlich von allen
verlassen schändlich sterben muss. Es ist besser, um Gottes Willen zu leiden
als selbst gewalttätig zu sein.
Im Exil entstehen auch
Friedensvisionen:
Jes 2,1-5
(ähnlich Mich 4,1-5): Das Wort,
das Jesaja, der Sohn des Amoz, in einer Vision über Juda und Jerusalem
gehört hat. Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des
Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel.
Zu ihm strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie
sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes
Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn
von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort. Er spricht
Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden
sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man
zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den
Krieg.
Ps 72,1-3:
Verleih dein Richteramt, o Gott,
dem König, dem Königssohn gib dein gerechtes Walten! Er regiere dein Volk in
Gerechtigkeit und deine Armen durch rechtes Urteil. Dann tragen die Berge
Frieden für das Volk und die Höhen Gerechtigkeit.
Jes 11,1-10:
Doch aus dem Baumstumpf Isais
wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.
Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihm: der Geist der Weisheit und
der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis
und der Gottesfurcht. Er richtet nicht nach dem Augenschein, und nicht nur
nach dem Hörensagen entscheidet er, sondern er richtet die Hilflosen gerecht
und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. Er schlägt den
Gewalttätigen mit dem Stock seines Wortes und tötet den Schuldigen mit dem
Hauch seines Mundes. Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften, Treue der
Gürtel um seinen Leib. Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim
Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten.
Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe
frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der
Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut
nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen
Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das
Meer mit Wasser gefüllt ist. An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel
Isais sein, der dasteht als Zeichen für die Nationen; die Völker suchen ihn
auf; sein Wohnsitz ist prächtig.
Sach 9,9-12:
Juble laut, Tochter Zion! Jauchze,
Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft;
er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer
Eselin. Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus
Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den
Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die
Enden der Erde. Auch deine Gefangenen werde ich um des Blutes deines Bundes
willen freilassen aus ihrem Kerker, der wasserlosen Zisterne. Kehrt in
Scharen zurück, ihr Gefangenen voll Hoffnung! Ja, heute verkünde ich: Die
doppelte Zahl führe ich zu dir zurück.
Hos 2,20:
Ich schließe für Israel an jenem
Tag einen Bund mit den Tieren des Feldes und den Vögeln des Himmels und mit
allem, was auf dem Erdboden kriecht. Ich zerbreche Bogen und Schwert, es
gibt keinen Krieg mehr im Land, ich lasse sie Ruhe und Sicherheit finden.
Die Gewalt existiert, aber sie
wird aus der Verfügung des Menschen genommen und Gott anheim gestellt. Sehr
frühe Beispiele dafür sind zwei Heldenepen über David in 1Sam 24, noch
deutlicher 1Sam 26:
... Saul schlief mitten im Lager,
während seine Leute rings um ihn herum lagen ... sein Speer steckte neben
seinem Kopf in der Erde ... Da sagte Abischai zu David: Heute hat Gott
deinen Feind in deine Hand gegeben. Jetzt werde ich ihn mit einem einzigen
Speerstoß auf den Boden spießen, einen zweiten brauche ich nicht dafür.
David aber erwiderte Abischai: Bring ihn nicht um! Denn wer hat je seine
Hand gegen den Gesalbten des Herrn erhoben und ist ungestraft geblieben? ...
Mich aber bewahre der Herr davor, dass ich meine Hand gegen den Gesalbten
des Herrn erhebe ...
Die menschliche Geschichte ist
gewaltbestimmt, die Überwindung der Gewalt geschieht nur durch Gott und im
Vertrauen auf Gott (Jesus). Inspiriert ist nicht nur der Text, sondern auch
die Lesegemeinschaft durch das Wirken des Geistes. Die Widersprüche in der
Bibel fordern zur Auseinandersetzung heraus. So sind durch verschiedene
Stimmen der Bibel göttliche und menschliche Perspektiven im Gespräch.
Fazit:
Die Bibel kann nicht der Rechtfertigung von Gewalt
dienen!
Erhard Eibensteiner
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