Besuch bei den Mechitharisten

am 18. Jan. 2011

 

 

Die Mechitharisten in Wien

 

Über einem Haustor in der Mechitaristengasse im siebenten Wiener Gemeindebezirk ist ein steinernes, seltsames Wappen, von einer Bischofsmütze gekrönt, zu sehen. Es ist das Haus Nummer 4, das Mechitharistenkloster. Mit seiner Tradition still vollbrachter, doch kreativer Leistungen stellt es heute ein nicht mehr wegzudenkendes, wertvolles Geisteszentrum dar.

 

Als der 1676 geborene Mechithar von Sebaste am 8. September 1701 in Konstantinopel den Orden gründete, ahnte er sicher nicht, dass er als Stifter und Abt einer Klostergemeinschaft einmal zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der armenischen Kulturgeschichte zählen wird. Mechithar und seine Mitbrüder verließen bald das osmanische Reich und errichteten am Peloponnes ein armenisch-be­nediktinisches Kloster. Hier schon hatten sie die Regeln des heiligen Benedikt angenommen und waren als Benediktiner durch Papst Klemens XI. bestätigt worden. Nach dieser Bestätigung heißen die Mechitharisten zu Recht „armenische Benedik­tiner". Später ließen sie sich auf einer der kleinen Inseln Venedigs, auf San Lazzaro, nieder und grün­deten auch hier ein Kloster.

 

1773 trennte sich ein Teil der Mönche vom Stammhaus in Venedig und ließ sich in Triest nieder. Als Triest 1797 und 1805 von französischen Truppen besetzt wurde, verloren die Mechitharisten als Untertanen des Habs­burgerreiches ihre Güter und muss­ten in Wien Asyl suchen. Kaiser Franz I. war es schließlich, der die vertriebenen Patres mit einem Kabinettschreiben vom 5. Dezember 1810 in der Residenzstadt Wien aufnahm.

 

Die Mechitharistenpatres fanden in dem verlassenen kleinen Kapuzinerkloster „Am Platz“ in der Vorstadt St. Ulrich Unterkunft.

 

Das Wiener Mechitharistenkloster ist zu einer wahren Heimstätte der armenischen Kultur, einem einzig dastehenden Zentrum geworden, dessen wissenschaftlicher Glanz draußen in der Welt bekannter ist als in Wien selbst. Bibliothek und Museum illustrieren eindrucksvoll den Stellenwert der armenischen Kultur und eröffnen nicht nur im deutschen Sprachraum die wohl beste Möglichkeit, sich mit der weit zurückliegenden, interessanten Geschichte und Vergangenheit der Armenier aus­einanderzusetzen.

 

Die Aufgaben des Ordens

 

Über die Zielsetzungen einer katholischen Ordensgemeinschaft hinaus nimmt sich die Congregation vor allem der Bewah­rung kultureller Werte der armenischen Nation an. Die besondere Pflege gerade der Sprache — dies war schon ein Anliegen des Ordensgründers — ist vor allem wegen des in aller Welt verstreut lebenden armenischen Volkes von großer Wichtigkeit. Der Gefahr einer Assimilation der Armenier in ihren Gastländern wird durch ständige Pflege des Nationalbewusstseins und der heimatlichen Überlieferungen begegnet. Über allem steht — geleitet von christlichem und nationalem Gedankengut - die Erziehung der Jugend. So betreiben die Mechitharisten Schulen in Istanbul, Beirut, Los Angeles und eine Sommerschule in East Falmouth (USA). In diesen Schulen werden jährlich mehr als 2000 Schüler unterrichtet. Neben den Erziehungsaufgaben wird auch die seelsorgliche Betreuung der katholischen Armenier mit Pfarrniederlassungen in Budapest, Boston und Los Angeles wahrgenommen. Die Mechitharisten stellen heute außerhalb Armeniens einen allseits anerkannten kulturellen Mittelpunkt dar.

 

Im Kloster in Wien wird zur Pflege des eigenen Nachwuchses ein Seminar mit theologisch-philosophischer Hauslehranstalt geführt. Über die erwähnten Aufgaben hinaus wird mit großer Fachkenntnis einer wissenschaftlich-publizistischen Tätigkeit nachgegangen. Die Patres setzen die Tradition philologischer Publikationen mit der periodisch erscheinenden Zeitschrift Handes Amsorya ebenso fort wie mit der seit 1889 erscheinenden Reihe Naionalbibliothek, die bisher auf 227 Bände angewachsen ist. Eine wertvolle Ergänzung armenischen Schrifttums sind auch die Studien zur armenischen Geschichte.

 

Kloster und Kirche

 

Der eindrucksvolle Baukörper des Klosters wurde 1837 von dem bekannten Architekten Joseph Kornhäusel errichtet, das Refektorium schmückt ein Gemälde F. Schnorr v. Ca­rolsfelds in seltenem halbrundem Format. Die in den Komplex des Klosterbaus integrierte Kirche, nach einem Entwurf von Camillo Sitte 1874 errichtet, hat sich zum geistigen und geistlichen Zentrum der Wiener katholischen Armenier entwickelt. Eine Besonderheit ist ein Seitenaltar, der Gregor dem Erleuchter gewidmet ist: er wurde vom Erbauer des Wiener Parlaments, Theophil von Hansen, entworfen.

 

Bibliothek und Museum

 

Mit 2600 kostbaren armenischen Handschriften, deren älteste aus dem 9. Jahrhundert stammt, etwa 120.000 Werken in armenischer Sprache und weiteren 10.000 Werken über Armeniens Geschichte, Sprache und Entwicklung, zählt diese Sammlung zu den bedeutendsten der Welt. In der Bibliothek des Mechitharistenklosters befindet sich auch die größte und älteste armenische Zeitschriftensammlung. Insgesamt werden hier etwa 170.000 Bände aufbewahrt. Das Museum birgt neben der bedeutendsten Sammlung armenischer Münzen (die ältesten Stücke stammen aus dem 4. Jahrhundert v. Chr.), Raritäten der Volkskunst, Keramiken, Silberschmiedearbeiten und sakrale Kunst. Eine reiche Bildersammlung mit Werken armenischer Maler — z. B. der bekannten Malerfamilie Naghash aus dem 18. Jahrhundert und Aywasowsky aus dem 19. Jahr­hundert — machen das Museum besonders sehenswert.

 

Druckerei

 

Seit ihrem Bestand in Wien betreibt die Mechitharisten-Congregation in Gebäudekomplex des Klosters eine Druckerei. Von 1811 an bis in die heutige Zeit wurden hier viele Werke in armenischer und auch vielen anderen Sprachen gedruckt. Heute bedient sich die Druckerei modernster Technologie und kann vor allem einen hohen Standard insbesondere am Sektor Fremdsprachensatz anbieten. Im Angebot sind neben einer Vielzahl lateinischer Schriften — für die Satzherstellung der europäischen Fremdsprachen — auch armenische, griechische, hebräische, cyrillische und arabische zu finden. Die Qualität der Erzeugnisse zu garantieren, zählt zu den besonderen Stärken des Druckereiunternehmens.

 

Likörerzeugung „Mechitharine“

 

Die bekannte Spezialität des Hauses, der im Kloster hergestellte Kräuterlikör „Mechitharine“, erfreut sich großer Beliebtheit. Seit 1889 wird dieses magenfreundliche Getränk nach einem in einer alten Handschrift aus dem Jahr 1680 dokumentierten Hausrezept, das vom Ordensgründer aus Konstantinopel nach Europa gebracht wurde, produziert.

 

Die Mechitharisten-Congregation ist neben vielen Wohltätern insbesondere der Calouste-Gulbenkian­Foundation für die tatkräftige Unterstützung bei Renovierung und Ausstattung ihrer Museumsräumlichkeiten und der Armenian General Benevolent Union für die uneigennützige finanzielle Hilfe in wirtschaftlich schwieriger Situation zu großem Dank verpflichtet.

 

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